Blick: Wissensheft: Magen-Darm!

Unser Heft 3/2022

03/22 September 2022 bis Dezember 2022

9,40 EUR (D) | Ausgabe 67

Wissensheft: Magen-Darm!

Jahrgang XVIII | ISSN 1860-3963 ISBN 9783-981879445

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Liebe Leserinnen und Leser,

Editorial

Magengeschwüre, Kotwasser, Darmentzündungen – wer je ein Pferd besaß oder besitzt, das unter einer dieser Erkran kungen gelitten hat, weiß: das ist kräfte- und nervenzehrend für Pferd und Mensch. Die Ursachenforschung dauert oftmals Monate, wenn nicht gar Jahre, und ist mit viel Aufwand ver bunden. Häufig werden vor allem Magengeschwüre von wiederkeh renden – zum Glück meist leichten – Koliken begleitet. Und spätestens wenn ein Pferd alle paar Wochen diese Symptome zeigt, liegen die Nerven komplett blank und die Ersparnisse lösen sich dank der Tierarztrechnungen förmlich in Luft auf. Da Mr.P. und ich das auch schon hinter uns haben und ich weiß, wie frustrierend die Suche nach der Krankheitsursache ist, liegt mir dieses Thema besonders am Herzen. Deshalb be handeln wir es auch ausführlich in diesem Heft. Denn eines ist leider sicher: Magen-Darm-Erkrankungen sind die Zivilisa tionskrankheit unserer Pferde. Ganz akribisch widmen wir uns auch dem Darm und seinen Bewohnern. Dazu nehmen wir den ein oder anderen Trend mal genau unter die Lupe, beispielsweise, was von Darmflora Analysen zu halten ist.

Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht Ihnen Ihre Claudia Sanders

Jetzt gesund und putzmunter: Orgulloso und Claudia Sanders. Foto: www.slawik.com

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Wissensheft: Magen-Darm!

Editorial (Claudia Sanders)

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Der Weg der Nahrung: Eine lange Reise durch das Pferd (Tina Löffler)

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Gut gekaut ist halb verdaut: Die Zahngesundheit (Martin Grell)

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Notfall Schlundverstopfung (Nadja Firmenich)

Wenn der Magen rot sieht (Nina Weltrich, Dr. Ina Hofheinz)

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Augen, Nase, Ohren auf: Erkenne Dein darmgesundes Pferd (Britta Beck) Das Mikrobiom: Die Mikro-Wohngemeinschaft im Pferdedarm (Dr. Svenja Thiede, Dr. Lorenz Jäger) 50 Darmflora-Analyse: Sinnvolle Diagnostik oder überschätzter Hype? (Dr. Svenja Thiede, Dr. Lorenz Jäger)) 56 Das Darmflora-Projekt (Dr. Svenja Thiede) 64 Der Darm als Sanierungsfall (Prof. Dr. Annette Zeyner) 70 Pro- und Präbiotika: Was schadet, was nützt? (Prof. Dr. Ellen Kienzle) 74 Alarm im Darm: IBD und Leaky Gut (Dr. Jasmin-Isabelle Michutta) 78 34 42 Keim-Steckbriefe: Das „Who´s who“ der Bewohner im Darm-Mikrobiom (Tina Löffler)

Inhalt

Notfall Kolik: Verschiedene Formen, verschiedene Ursachen (Dr. Julia Engels)

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Mal richtig Luft ablassen (Dr. Julia Engels)

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Wenn´s tropft und läuft: Kotwasser, ein Symptom mit vielen Ursachen (Dr. Julia Engels, Conny Röhm) 91

Das übersäuerte Pferd: Mythos oder ernst zu nehmendes Problem? (Prof. Dr. Ellen Kienzle) 97 Das übersäuerte Pferd – Das sagt Dr. Silke Stricker 101 Wenn der Wurm drin steckt: Endoparasiten beim Pferd (Nana Keck) 102 Stress – warum und wie er krank macht (Dr. Miriam Baumgartner) 106

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Neues aus der Wissenschaft: Koliken – Häufigkeit und Heilungschancen (Dr. Diana Krischke)

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Allerlei

Serie: Das Auge schulen (Karin Link und Jan Nivelle)

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Fair zum Pferd-Campus-Programm

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Alles was Recht ist: Über Schiedsgerichte im Pferdewesen (Nils Michael Becker)

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Glosse Mr.P. & Me: Alles relativ!

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Impressum

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Vorschau Heft 4/2022

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Foto Titelbild und Inhaltsverzeichnis: www.slawik.com Redaktionsanschrift: Birkenweg 10, 57629 Mörsbach, Tel.: 02688/988 65 38 Die Namen in Klammern bezeichnen die Autoren oder Interviewpartner des jeweiligen Artikels.

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„Dein Pferd liebt Dich nicht für Dein Aussehen.“ Marokkanisches Sprichwort

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Foto: www.slawik.com

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Weg der Nahrung Der Weg der Nahrung: Eine lange Reise durch das Pferd

Pferde sind Pflanzenfresser, genauer gesagt: Raufutterfresser. Auf ihrem Spei seplan stehen hierzulande in erster Linie Gräser – vor allem getrocknet –, Stroh, Zweige, Blätter und Rinden. Anders als Menschen können Pferde auch aus Ballast stoffen, der Rohfaser, Energie gewinnen. Um zu verstehen, wie sich aus einem Ki logramm Heu innerhalb von 35 bis 50 Stunden aromatisch duftende, grün-braun glänzende Pferdekotbollen entwickeln und welche Stationen die Nahrung wäh rend dieser Zeit passiert, lohnt ein Blick auf die Verdauungsanatomie des Pferdes. Ein Pferd nimmt die Nahrung mit den Lippen und Schneidezähnen auf und zerkleinert sie mechanisch mithilfe seiner Backenzähne. Während des Kauens wird von den Spei cheldrüsen Speichel produziert, der sich mit dem Futter vermischt, um dieses rutschfä higer für den Weitertransport zu machen. Speichel kann aber noch viel mehr: Er enthält unter anderem Bicarbonat und Natriumchlorid – Stoffe, die der Pufferung der Magen säure im Anfangsteil des Magens dienen. Je besser und länger ein Futtermittel gekaut werden muss, desto mehr Speichel wird produziert. Für ein Kilogramm Heu benöti gen Pferde im Schnitt 40 Minuten, für ein Kilogramm Kraftfutter im Schnitt nur 10 Mi nuten. Die Verdauung beginnt, sobald das Pferd Futter aufnimmt, also bereits im Maul und nicht erst in den tieferen Abschnitten wie Magen und Darm. Lippen, Zunge, Zäh ne, Maulhöhle und Rachen werden deshalb auch zusammengefasst als Kopfdarm be zeichnet. Hier findet die mechanische Verdauung statt. Je weniger intakt das Gebiss ist, desto schlechter kann die Verdauung in den folgenden Abschnitten funktionie ren. Nicht umsonst heißt es„Gut gekaut ist halb verdaut“. Kopfdarm und Magen sind über die Speiseröhre miteinander verbunden. Die ist beim Pferd bis zu 1,50 Meter lang. Geht alles gut, wird dieser Abschnitt sekundenschnell pas siert. Wurde das Futter nicht ausreichend zerkleinert, kann es aufgrund des geringen Durchmessers der Speiseröhre von nur circa 1,5 Zentimetern zur gefürchteten Schlund verstopfung kommen (s. Artikel S. 19). Auffallend klein und störanfällig: Der Magen Im Vergleich zur Größe eines Pferdes ist sein Magen ziemlich klein. Er fasst nur etwa 15 bis 20 Liter. Schließmuskel am Mageneingang und Magenausgang verhindern, dass das Futter durchrauscht. Genau hierin liegt aber auch eine gewisse Störanfälligkeit, denn der Schließmuskel am Mageneingang zieht sich reflektorisch je nach Füllungsdruck zu sammen. Je gefüllter der Magen, desto schneller die Kontraktion bis hin zu einem Dauertonus. Aus diesem Grund können Pferde auch nicht erbrechen. Ein Pferd ist deshalb auf die kontinuierliche Aufnahme kleiner Futtermengen angewiesen. Der Magen des Pferdes besteht aus einem drüsenlosen Teil, dem Blindsack im vorderen Ab schnitt, und einem drüsenhaltigen Teil, dem hinteren Magenabschnitt. Im vorderen, drü-

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Weg der Nahrung

Der Pferdekopf. Zeichnung von Susanne Retsch-Amschler, aus dem Buch „Die Anatomie des Pferdes“. Mit freundlicher Genehmigung des Cadmos-Verlages.

senlosen Teil des Magens findet bereits eine bakterielle Vorverdauung leicht verfügbarer Kohlenhydrate, Fette und Proteine statt. Durch das im Speichel enthaltene Bikarbonat ist der pH-Wert in diesem Bereich des Magens höher als im hinteren, drüsenhaltigen Be reich, wo der Nahrungsbrei mit Salzsäure und dem Verdauungsenzym Pepsin vermischt wird. Das Enzym Pepsin wird übrigens erst in einem sauren Milieu aktiviert. Auch wer den hier Schadkeime und Krankheitserreger abgetötet. Es ist deshalb auch nicht ge wünscht, dass der Magen basisch ist, weshalb die Fütterung von Basenpräparaten immer kritisch ist und allenfalls in fachkundige Hände gehört. Je nach Futtermittel beträgt dessen Verweildauer im Magen zwischen einer und fünf Stunden, bevor es in den Dünndarm weitertransportiert wird. Speiseröhre und Magen werden in der Fach sprache gemeinsam als Vorderdarm bezeichnet.

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Weg der Nahrung

Magen-Darm-Trakt von der rechten Seite. Zeichnung von Susanne Retsch-Amschler, aus dem Buch „Die Anatomie des Pferdes“. Mit freundlicher Genehmigung des Cadmos-Verlages.

Nächster Halt: Enzymatische Verdauung im Dünndarm Mit einer Gesamtlänge von etwa 25 Metern ist der Dünndarm der längste Verdauungs abschnitt des Pferdes, überraschenderweise aber der mit der schnellsten Durchlaufzeit: Der Futterbrei passiert den Dünndarm in der Regel in nur 1,5 Stunden. Der Dünn darm besteht aus den Abschnitten Zwölffingerdarm (Duodenum), Leerdarm (Jejunum) und Hüftdarm (Ileum). Trotz der kurzen Verweildauer findet im Dünndarm eine ganze Menge statt – die enzymatische Verdauung. Die im Nahrungsbrei enthaltenen Makro nährstoffe werden mithilfe von Verdauungsenzymen, die in der Bauchspeicheldrüse produziert werden, aufgespalten. Eiweiße werden mithilfe von Trypsin zu Aminosäuren zerlegt, Kohlenhydrate mithilfe von Amylase zu Glukose und Fette mithilfe von Lipase zu Fettsäuren. Ebenso werden im Dünndarm die Mengen- und Spurenelemente sowie Vita

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Zu viel Stroh in der Fütterung kann ein Problem für das Pferd werden. Foto: www.slawik.com

mine aus den Nahrungsbestandteilen herausgelöst und dem Organismus zur Verfügung gestellt. Zu den Verdauungsenzymen aus der Bauchspeicheldrüse gesellt sich die in der Leber produzierte Galle am Anfang des Dünndarms. Auch Galle enthält eine Reihe von Mineralstoffen und Bikarbonaten, was zu einer Neutralisierung des sauren Mageninhalts und damit zu einer Anhebung des pH-Werts im Dünndarm führt. Zudem unterstützen die Gallensäuren, ein Bestandteil der Galle, die Fettverdauung. Zwischen dem letzten Abschnitt des Dünndarms (Ileum) und dem ersten Abschnitt des Dickdarms (Zäkum) sitzt eine Klappe (Ileozäkalklappe). Durch diese Klappe wird der Nahrungsbrei, der an dieser Stelle der Verdauung noch recht flüssig ist, in den Dickdarm eingespritzt. Bestimmte Endoparasiten, also Würmer, halten sich übrigens bevorzugt an diesem Übergang auf, was zu einer mechanischen Behinderung dieser Ileozäkalklap pe führen kann: in beide Richtungen. Schließt die Klappe nicht mehr richtig, kann der Verdauungsbrei aus dem Dünndarm ungehindert in den Dickdarm gelangen und an

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dersherum könnten Bakterien aus dem Blinddarm des Pferdes in den Dünndarm gelan gen und dort schwere Aufgasungen verursachen. Öffnet die Ileozäkalklappe nicht mehr, kann das zu schwerwiegenden Verstopfungen führen. Ein zeitgemäßes und bewusstes Endoparasitenmanagement ist daher unumgänglich – auch für eine gesunde Verdau ung (s. Artikel S. 102). Das dicke Ende kommt zum Schluss: Fermentation im Dickdarm Im Dünndarm können übrigens nur die sogenannten löslichen Kohlenhydrate verdaut werden. Für Strukturkohlenhydrate, also die Gerüstsubstanzen der Pflanzen (beispiels weise Zellulose), ist der Dickdarm mitsamt seiner Bakterienkolonie verantwortlich. Der Dickdarm muss sich aber auch mit allem auseinandersetzen, was für den Dünndarm un verdaulich ist und womit er überfordert ist – neben den Strukturkohlenhydraten können das auch erhöhte Stärkeanflutungen infolge von zu großen Kraftfuttermengen sein. Der Dickdarm besteht aus den Abschnitten Blinddarm (Zäkum), dem großen Grimm darm (großes Kolon), dem kleinen Grimmdarm (kleines Kolon) und dem Mastdarm (Rek tum). Der Dickdarm ist mit rund zehn Metern zwar nicht der längste Verdauungsab schnitt, dafür mit bis zu 130 Litern Fassungsvermögen aber der mächtigste und der Ab schnitt, in dem die Nahrung am längsten verweilt. Zwischen 15 und 20 Stunden bleibt die Nahrung im Blinddarm und 18 bis 24 Stunden im Grimmdarm. Hier findet nun die mikrobielle Verdauung in den großen Gärkammern Blinddarm und Colon ascendens statt. Aus Strukturkohlenhydraten werden mithilfe von Bakterien unter anderem flüch tige Fettsäuren und größere Mengen wasserlöslicher Vitamine, die dem Pferd als Nähr stoffe zur Verfügung gestellt werden. Die flüchtigen Fettsäuren dienen zudem der Ener gieversorgung der Darmschleimhaut. Je weiter der Nahrungsbrei im Verdauungssystem voranschreitet, desto mehr Flüssigkeit wird ihm entzogen und zumTeil wieder in den Or ganismus resorbiert. Dieser Verdauungsabschnitt ist sehr wichtig, leider aber auch stör anfällig: Kommen plötzlich und zu große Mengen von Nährstoffen, die eigentlich enzy matisch verdaut werden müssten, im Dickdarm an, kann das zu einer Entgleisung der Darmflora und zu massenhaftem Bakteriensterben führen. Die Giftstoffe, die dabei frei gesetzt werden, können zu schweren Folgeerkrankungen führen. Beinhaltet die Ration zu viel ligninreiche Futtermittel (wie beispielsweise Stroh), kann das zu Verstopfungs- koliken führen. Dünndarm und Dickdarm werden auch als Mitteldarm bezeichnet, an den sich dann der Enddarm anschließt. Nach einer Gesamtpassagezeit von bis zu 50 Stunden, also mehr als zwei Tage und Nächte, purzeln die unverdauten Nahrungsbestandteile aus demAnus he raus. Die nicht resorbierten flüssigen Bestandteile werden mit dem Urin ausgeschieden.

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