Blick in 2020/4

Vergessene Lektionen

04/20 Dezember 2020 bis März 2021

8,90 EUR (D) 9,80 EUR (A) 17,80 SFR (CH) 9,90 EUR (BeNeLux) 11,60 EUR (ES, I)

Vergessene Lektionen: Vonder Vor- bis zurHinter- handwendung

AkademischeReitkunst: Wendungenander Handerarbeiten RalfDöringshoff: Gymnastizierenmit Plan ChristinKrischke: Auf denSpuren der italienischenMeister EckartMeyners: HerausforderungReitersitz

Jahrgang XVI | ISSN 1860-3963

Das Magazin zur Aus- und Weiterbildung von Reiter und Pferd www.dressur-studien.de | www.fair-zum-pferd.de

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Liebe Leserinnen und Leser,

wir leben in herausfordernden Zeiten. Mitten im zweiten Lockdown erscheint dieses Heft (und hilft Ihnen dabei hof- fentlich etwas, Ihre Laune zu verbessern). Dass dieser Lock- down kommen würde, war nun keine Überraschung. Trotz- dem reibe ich mir nur noch verwundert die Augen, dass in den Ministerien und Ämtern immer noch keine – halbwegs – einheitlichen Regelungen vorliegen. In diesen Tagen haben sich in den Ländern die Vorgaben für Reiter quasi stündlich geändert. Wenn ich zwei Wünsche frei hätte, würde ich sagen: 1. Möglichst keinen weiteren Lockdown und 2. falls er doch kommt, dann bitte mit einleuchtenden, gut kommunizier- baren Konzepten und nicht wieder so ein Hin und Her. Doch jetzt habe ich genug geschimpft, denn Hand aufs Herz: Als Pferdemenschen sind wir privilegiert und können un- serem Hobby nachgehen. Das kann in diesen Tagen wirklich nicht jeder von sich behaupten. Vielleicht haben Sie sich gefragt, warum wir Vor- und Hinter- handwendungen als vergessene Lektionen betitelt haben. Nun, die Vorhandwendung ist in keiner Dressuraufgabe mehr zu finden. Und es war gar nicht so einfach, Modelle für unsere Fotostrecken zu finden: Die Lektionen scheinen aus der Mode gekommen zu sein. Dabei können sie Reiter und Pferd bei der Verständigung sehr helfen. Auf jeden Fall finden Sie in diesem

Editorial

Heft wieder eine ganze Reihe an Trainingsideen, bei denen garantiert keine Langeweile aufkommt.

In diesem Sinne: Viel Vergnügen bei der Lektüre dieses Heftes wünscht Ihnen Ihre

Claudia Sanders

Blick nach vorn: Orgulloso. Foto: Claudia Sanders

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Vergessene Lektionen: Von der Vor- bis zur Hinterhandwendung

Editorial (Claudia Sanders)

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Biomechanik: Von Yoga bis Bodybuilding (Karin Link, Claudia Schebsdat)

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Bilderstrecke: Vor- und Hinterhandwendungen

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Inhalt

Die klassischen Hilfen zu den Wendungen

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Im Viereck im Kreis: Was Dressurrichter sehen wollen (Uwe Spenlen, Silke Gärtner)

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Blick in die Literatur: Hinterhandwendung, Kurzkehrt und Pirouette (Cora von Hindte-Mieske) 28

Akademische Reitkunst: Wendungen an der Hand erarbeiten (Marius Schneider) 36

Vom„verquerten Schrägeln“ und der Volte im Schwenken (Waldemar Seunig)

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Ralf Döringshoff: Gymnastizieren mit Plan

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EberhardWeiß: Lektionen kombinieren

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Christiane Horstmann: Tanzbewegungen statt Lektionen

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Christin Krischke: Auf den Spuren der italienischen Meister

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Ute Holm: Vor- und Hinterhand kontrolliert bewegen

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Innere Bilder: Mit Taschenlampe, Reisekoffer und Kontrollfragen (Anke Recktenwald, Elaine Butler) 98

Eckart Meyners: Herausforderung Reitersitz

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Allerlei

Serie: Das Auge schulen (Karin Link, Jan Nivelle und Conny Röhm)

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Fair zum Pferd-Campus-Programm

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Adventskalender 2020

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Alles was Recht ist: Die neuen Tierschutz-Richtlinien Pferdesport (Nils Michael Becker)

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Glosse Mr.P. & Me: Das Seelenpferd!

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Impressum

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Vorschau Heft 1/2021

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Foto Titelbild und Inhaltsverzeichnis: www.slawik.com Redaktionsanschrift: Birkenweg 10, 57629 Mörsbach, Tel.: 02688/988 65 38 Die Namen in Klammern bezeichnen die Autoren oder Interviewpartner des jeweiligen Artikels. Farblich markierte Artikel kennzeichnen Titelthemen.

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„Ein Fehler wird schon begangen, bevor man ihn sehen kann.“ Walter Zettl (1929–2018) in „Dressur in Harmonie“, 2003

Foto: www.slawik.com

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Biomechanik Biomechanik: Von Yoga bis Bodybuilding – Wendungen um die Vor- und Hinterhand

Wendungen um die Vor- und Hinterhand gehören – zumindest im Schritt ausge- führt – nicht zu den spektakulären Übungen. Doch die langsame Ausführung macht Fehler gnadenlos sichtbar und Schummeln unmöglich. Kurzum: Bei Vor- hand-, Hinterhand- und Kurzkehrtwendung sowie der Schrittpirouette steckt der Teufel im Detail. Das Betrachten der biomechanischen Abläufe macht deutlich, wa- rum es lohnt, sich den Herausforderungen dieser Lektionen zu stellen. Die Vorhandwendung: Ausgleich für hohe Versammlung Manchmal erschließt sich das Potenzial einer Lektion nicht auf den ersten Blick. So zum Beispiel bei der Vorhandwendung, die gern als Anfängerübung abgestempelt und von fortgeschrittenen Reitern deshalb oft komplett ignoriert wird. Karin Link, Sportpferde- therapeutin aus Siegburg, erklärt, wie sich das Pferd beim Wenden um die Vorhand be- wegen sollte: „Das Pferd ist entgegen der Bewegungsrichtung gestellt und nicht gebo- gen. Die Hinterhand tritt kreuzend in einem Halbkreis um die Vorhand herum. Diese be- schreibt einen Halbkreis mit sehr kleinem Radius, wobei der Wendepunkt nah am inne- ren Vorderbein liegt.“ Während also die Hinterbeine vorwärts-seitwärts kreuzend große Bewegungen vollführen, tritt das innere Vorderbein fast auf der Stelle. Tritt das innere Hinterbein kreuzend unter den Körper, verkürzen sich die Adduktoren der Hinterbeine, die sich unterhalb des Beckens und an der Innenseite der Oberschenkel befinden. Gleichzeitig werden die Abduktoren an der Außenseite von Becken und Ober- schenkeln gedehnt. Zu ihnen zählen vor allem die Gluteal-(Kruppen-)muskulatur sowie der Musculus biceps femoris. Macht das äußere Hinterbein anschließend einen Schritt zur Seite, werden die Adduktoren beider Hinterbeine gedehnt und die Abduktoren ver- kürzen sich. „Dieses Wechselspiel von Anspannen und Dehnen fördert die Funktion der Muskulatur“, betont Karin Link. In dem Moment, in dem das innere Hinterbein seitlich übertritt, kommt es zu einer Drehung des Rumpfes nach innen. „Durch diesen Bewe- gungsablauf werden das Kreuz-Darmbein-Gelenk und das Hüftgelenk mobilisiert. Die großen Bewegungen der Hinterhand werden durch die Bauch- und Lendenmuskulatur unterstützt“, erklärt Karin Link. In der Vorhand werden bei der Vorhandwendung vergleichsweise kleine Bewegungen ausgeführt, die jedoch von großer Bedeutung sind, wie Karin Link deutlich macht: „Das Pferd sollte mit dem inneren Vorderbein aktiv und fast auf der Stelle treten. Bei korrekter Ausführung wird durch die Bewegung des Schulterblatts die Oberhalsmuskulatur veran- lasst, korrekt zu arbeiten und die Unterhalsmuskulatur entspannt sich.“ Für Karin Link hat die Vorhandwendung durchaus einen therapeutischen Nutzen: „Die Hüftbeuger und der Musculus quadratus lumborum, der die Lendenwirbelsäule stabi- lisiert und beugt, sind durch die versammelnde Arbeit bei vielen Dressurpferden ver-

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Biomechanik

Claudia Schebsdat. Foto: privat

spannt. Die Vorhandwendung eignet sich gut, um diese Muskeln aufzudehnen und sie aus einem statischen Zustand wieder in einen dynamischen zu bringen. Die ver- spannte Muskulatur wird wieder arbeitsfähig. Dadurch verbessern sich auch die Nervenfunktionen und somit die Reflexe; der Ischiasnerv wird entlastet und das Pferd bekommt ein besseres Gefühl für seine Hinterbeine“, führt die Sportthera- peutin aus. Sie hält die Lektion daher keineswegs nur für Reitanfänger geeignet: „Auch fortgeschrittene Reiter können sie sich zunutze machen, denn sie dehnt gerade die Mus- kulatur, die zum Beispiel in Galopppirouetten extrem beansprucht wird.“ Auch zum Auf- wärmen hält sie die Wendung um die Vorhand für sinnvoll: „Durch die langsamen Bewe- gungen wirkt sie wie eine Yogaübung für das Pferd.“ Falsch ausgeführt bleiben diese Effekte allerdings aus. Einen Punkt hält Karin Link darum für besonders wichtig: „Die Hinterbeine können nur im richtigen Maß übertreten, wenn die Schulterkontrolle gewährleistet ist. Der Reiter muss über seinen Körper und die Zü- gel Hals und Schultern des Pferdes so einrahmen, dass der Halsansatz vor der Schulter gerade bleibt. Dazu muss der äußere Zügel vorherrschen.“ Auch ein Kleben der Vorder- beine am Boden verhindert das korrekte Übertreten der Hinterbeine. „Fußt das Pferd mit der Vorhand nicht aktiv ab, sondern dreht auf der Stelle, müssen die Hinterbeine zu weit kreuzen“, mahnt Karin Link. Erst gerade, dann im Kreis: Kurzkehrt- und Hinterhandwendung Kurzkehrt- und Hinterhandwendung unterscheiden sich lediglich an ihrem Anfang und Ende: Während das Kurzkehrt im Mittelschritt begonnen und beendet wird, ist die Hin- terhandwendung aus dem Halten zu reiten. Der Bewegungsablauf in der Wendung selbst ist bei beiden Lektionen identisch.

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Claudia Schebsdat, Pferde-Physio- und Osteotherapeutin DIPO aus Kleinmachnow, be- schreibt den Ablauf der Wendung: „Das äußere Hinterbein tritt in kleinen Schritten im Halbkreis um das innere Hinterbein herum, das im Takt des Schritts fast auf der Stelle auf- und abfußt. Die Hinterbeine kreuzen nicht, im Gegensatz zu den Vorderbeinen: Die- se beschreiben einen größeren Halbkreis um die Hinterhand herum und fußen dabei deutlich seitlich über.“ Sie beschreibt die besonderen Herausforderungen so: „Gemein- sam ist allen Wendungen um die Hinterhand die Längsbiegung des Pferdes in die Bewe- gungsrichtung. Die Schwierigkeit liegt für das Pferd darin, dass es nicht nur Vor- und Hin- terhand gut koordinieren, sondern sich auch in den Hanken – also den großen Gelenken der Hinterhand – beugen und dabei seitliche Bewegungen auf engem Raum ausführen muss. Das erfordert eine hohe Muskelstabilität.“ Claudia Schebsdat hebt besonders die Bedeutung der Glutealmuskulatur in der Hinter- hand und des Trapezmuskels in der Vorhand hervor, die das Pferd in der Längsbiegung stabilisieren. „Der Musculus trapezius verhindert, dass der Brustkorb in der Hangbein- phase einseitig absinkt, während die Glutealmuskeln das zu starke Absinken des Beckens zur Hangbeinseite verhindern.“ Da alle Wendungen um die Hinterhand versammelnden Charakter haben, werden hier auch die in der Versammlung geforderten Muskeln bean- sprucht. „Das sind insbesondere die langen Sitzbeinmuskeln und die Psoasmuskulatur als Hüftbeuger, die die Hankenbeugung bewirken“, so die DIPO-Therapeutin. Durch die Hankenbeugung und das damit verbundene Senken der Kruppe werden über den langen Rückenmuskel Rücken und Rumpf angehoben. „Dadurch werden die Rumpf- träger, also die muskuläre Verbindung zwischen Vordergliedmaße und Rumpf, entlastet. Zu den wichtigsten zählen der Musculus serratus ventralis und die Pectoralmuskulatur – das ist die Brustmuskulatur. Nur wenn sie entlastet werden, ist das Pferd in der Lage, in der Vorhand gleichmäßig zu kreuzen, ohne ein Vorderbein mehr zu belasten“, be- tont Claudia Schebsdat. Ihrer Erfahrung nach ist jedoch bei der Mehrzahl der Pferde die Brustmuskulatur, insbesondere der Musculus pectoralis transversus, der den Unterarm mit den ersten sechs Rippen verbindet, verspannt. „Das verhindert, dass sich die Vorhand seitlich öffnen kann“, erläutert sie. Mit dem Rumpf hebt sich auch das Brustbein. Die The- rapeutin macht deutlich, warum das wichtig ist: „Zwischen Brustbein und Lende ist das Zwerchfell aufgehängt. Die Lende kann sich daher nur heben und der Rücken sich auf- wölben, wenn das Brustbein angehoben ist. Und nur dann ist das Zwerchfell entspannt und das Pferd kann frei atmen. Insgesamt sind die Wendungen um die Hinterhand also durchaus körperlich anspruchsvoll.“ Durch den angehobenen Rumpf und die dadurch ebenfalls angehobene Halsbasis nimmt die Halswirbelsäule eine C-förmige Haltung an. Zu erkennen ist das an einer har- monisch aufgewölbten Oberlinie. „Wirkt der Hals dagegen kurz und dick und der Gana- schenwinkel ist nicht geöffnet, ist die Halsbasis nicht angehoben. Die Halswirbelsäule hat dann die Form eines S“, so Claudia Schebsdat.

Sehr oft, sagt die Therapeutin, würden die Pferde zu früh an versammelnde Aufgaben herangeführt. „Die geraderichtende Muskulatur, insbesondere die Glutealmuskula-

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Galopppirouette. Foto: www.slawik.com

tur und der Trapezmuskel, muss erst ausreichend trainiert werden – zunächst auf größeren Linien, dann in immer kleineren Wendungen. Ist sie zu schwach, funk- tioniert das Zusammenspiel der Muskeln nicht. Das Pferd kann dann in der Kurz- kehrt- oder Hinterhandwendung den Takt nicht halten.“ Im Bereich der Kruppe stellt Claudia Schebsdat bei solchen Pferden häufig Muskelverspannungen fest. Unruhe in der Kurzkehrt- oder Hinterhandwendung, die sich durch Kopf- oder Schweifschlagen äu- ßern kann, sei häufig ein Zeichen für körperliche und geistige Überforderung, betont sie. Auch in den Lektionen selbst sollten die Anforderungen deshalb erst allmählich gestei- gert werden, indem der Halbkreis der Hinterbeine erst nach und nach verkleinert wird. Richtig ausgeführt können die Lektionen die Taktsicherheit und die Tragkraft der Hinter- hand verbessern, das Herantreten an die Reiterhand fördern und das Pferd in der Längs- biegung geschmeidiger machen. „Neben der Hinterhandmuskulatur werden besonders der Trapezmuskel und die Oberhalsmuskulatur trainiert. Durch das Kreuzen der Vor- derbeine kann auch eine verspannte Brustmuskulatur gedehnt werden“, sagt die The- rapeutin. Alle positiven Effekte setzen allerdings voraus, dass das Pferd seinen Rücken aufwölbt. „Mit durchgedrücktem Rücken ist eine Längsbiegung gar nicht möglich. Wir sehen dann, dass die Hinterhand seitlich ausweicht“, so Claudia Schebsdat.

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