Blick in 2020/4

Biomechanik

Claudia Schebsdat, Pferde-Physio- und Osteotherapeutin DIPO aus Kleinmachnow, be- schreibt den Ablauf der Wendung: „Das äußere Hinterbein tritt in kleinen Schritten im Halbkreis um das innere Hinterbein herum, das im Takt des Schritts fast auf der Stelle auf- und abfußt. Die Hinterbeine kreuzen nicht, im Gegensatz zu den Vorderbeinen: Die- se beschreiben einen größeren Halbkreis um die Hinterhand herum und fußen dabei deutlich seitlich über.“ Sie beschreibt die besonderen Herausforderungen so: „Gemein- sam ist allen Wendungen um die Hinterhand die Längsbiegung des Pferdes in die Bewe- gungsrichtung. Die Schwierigkeit liegt für das Pferd darin, dass es nicht nur Vor- und Hin- terhand gut koordinieren, sondern sich auch in den Hanken – also den großen Gelenken der Hinterhand – beugen und dabei seitliche Bewegungen auf engem Raum ausführen muss. Das erfordert eine hohe Muskelstabilität.“ Claudia Schebsdat hebt besonders die Bedeutung der Glutealmuskulatur in der Hinter- hand und des Trapezmuskels in der Vorhand hervor, die das Pferd in der Längsbiegung stabilisieren. „Der Musculus trapezius verhindert, dass der Brustkorb in der Hangbein- phase einseitig absinkt, während die Glutealmuskeln das zu starke Absinken des Beckens zur Hangbeinseite verhindern.“ Da alle Wendungen um die Hinterhand versammelnden Charakter haben, werden hier auch die in der Versammlung geforderten Muskeln bean- sprucht. „Das sind insbesondere die langen Sitzbeinmuskeln und die Psoasmuskulatur als Hüftbeuger, die die Hankenbeugung bewirken“, so die DIPO-Therapeutin. Durch die Hankenbeugung und das damit verbundene Senken der Kruppe werden über den langen Rückenmuskel Rücken und Rumpf angehoben. „Dadurch werden die Rumpf- träger, also die muskuläre Verbindung zwischen Vordergliedmaße und Rumpf, entlastet. Zu den wichtigsten zählen der Musculus serratus ventralis und die Pectoralmuskulatur – das ist die Brustmuskulatur. Nur wenn sie entlastet werden, ist das Pferd in der Lage, in der Vorhand gleichmäßig zu kreuzen, ohne ein Vorderbein mehr zu belasten“, be- tont Claudia Schebsdat. Ihrer Erfahrung nach ist jedoch bei der Mehrzahl der Pferde die Brustmuskulatur, insbesondere der Musculus pectoralis transversus, der den Unterarm mit den ersten sechs Rippen verbindet, verspannt. „Das verhindert, dass sich die Vorhand seitlich öffnen kann“, erläutert sie. Mit dem Rumpf hebt sich auch das Brustbein. Die The- rapeutin macht deutlich, warum das wichtig ist: „Zwischen Brustbein und Lende ist das Zwerchfell aufgehängt. Die Lende kann sich daher nur heben und der Rücken sich auf- wölben, wenn das Brustbein angehoben ist. Und nur dann ist das Zwerchfell entspannt und das Pferd kann frei atmen. Insgesamt sind die Wendungen um die Hinterhand also durchaus körperlich anspruchsvoll.“ Durch den angehobenen Rumpf und die dadurch ebenfalls angehobene Halsbasis nimmt die Halswirbelsäule eine C-förmige Haltung an. Zu erkennen ist das an einer har- monisch aufgewölbten Oberlinie. „Wirkt der Hals dagegen kurz und dick und der Gana- schenwinkel ist nicht geöffnet, ist die Halsbasis nicht angehoben. Die Halswirbelsäule hat dann die Form eines S“, so Claudia Schebsdat.

Sehr oft, sagt die Therapeutin, würden die Pferde zu früh an versammelnde Aufgaben herangeführt. „Die geraderichtende Muskulatur, insbesondere die Glutealmuskula-

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