2024_04_Blick

Blick in unser Heft 4/24: Da hört die Harmonie auf: Stress und Schmerz erkennen!

04/24 | Ausgabe 76 Dezember 2024 bis März 2025 9,90 EUR (D)

Campus

Da hört die Harmonie auf! Stress und Schmerz erkennen

DAS AUGE SCHULEN

SERIE

MIT WISSEN UND FREUDE AUSBILDEN!

Jahrgang XX | ISSN 1860-3963 | ISBN 9783-910812-07-9 dressur-studien.de | fair-zum-pferd.de

Der Plan: Mensch und Pferd sitzen/liegen neben einander und lesen. Die Realität: Wir üben noch. Orgulloso und Claudia Sanders. Foto: Tom Sanders

Liebe Leserinnen und Leser, an dieser Stelle führe ich Sie üblicherweise in unser Heftthema ein – das hole ich auf S. 8 nach. Heute möchte ich jedoch eine Ausnahme machen, da mich ne ben all den bewegenden Ereignissen besonders die Flutkatastrophe in Spanien berührt hat. Vielleicht steht bei dem ein oder anderen von Ihnen ein iberisches Pferd im Stall, und viele von uns kennen Spanien als Urlaubsziel. Nun sind wir erschüttert darüber, wie die Naturgewalt eine ganze Region fast dem Erdboden gleichgemacht hat. Um das Ausmaß zu verdeutlichen: Allein im Raum Valen cia sind fast 900.000 Menschen betroffen. Ein Helfer des Deutschen Roten Kreu zes, der auch bei der verheerenden Katastrophe im Ahrtal im Einsatz war, sagte, dass die Dimension des spanischen Hochwassers das„Ahrtal hoch zehn“ sei. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie viele Pferde ertrunken sind. Aber ich kann mir vorstellen, dass wir unseren Teil zur Hilfe beitragen können – mit unserer Wissenskonferenz „Iberische Pferde“ am Sonntag, dem 29. Dezember. Wir ha ben sechs Expertinnen eingeladen, die Sie kompetent durch das Thema führen werden. Vom Nettoerlös werden wir 50 Prozent an den Reitsportverband in Va lencia spenden, um den Flutopfern zu helfen. Mehr Informationen finden Sie auf S. 124. Lassen Sie uns gemeinsam etwas Gutes tun – ich freue mich auf Sie! Ihre Claudia Sanders

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Da hört die Harmonie auf! Stress und Schmerzen beim Pferd erkennen

Editorial (Claudia Sanders)

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Der Ist-Zustand: Blick in die Reiterwelt (Claudia Sanders) 8 Der Ist-Zustand: Pferde in sozialen Medien – viele Missverständnisse (Michelle Strelow, Steffi Spielhaupter) 10 Der Ist-Zustand: Worauf die Richter achten – oder auch nicht (Dr. Inga Wolframm) 14

Aus der Praxis: Wo hört die Harmonie auf? Anja Beran:„Je sensibler ein Pferd ist, desto deutlicher drückt es sich aus“

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Uta Gräf: Harmonie als lebenslange Aufgabe

Andrea Schmitz:„Ich achte auf die Mimik, den Ausdruck der Augen und die Körpersprache“ Eberhard Weiß:„Die Grundvoraussetzung für Harmonie ist die Losgelassenheit“ Michael Geitner:„Die Lösung ist oft ganz einfach“ 33 Bernd Hackl:„Die Pferdeseele darf nicht unter dem Training leiden“ 36 Bent Branderup: Mensch und Pferd müssen sich gegenseitig lesen lernen 39 27 30 Aus der Wissenschaft: Wo hört die Harmonie auf? Die Horse Grimace Scale: Ein Blick in die Seele (Celina Skogan) Wie sich Stress und Schmerz auf das Pferd auswirken (Dr. Frauke Musial) Pferde: Meister im Verstecken von Schmerzen (Celina Skogan) 42 44 52 58 Erlernte Hilfelosigkeit: Wenn Pferde keinen Ausweg mehr sehen (Dr. Andrew McLean) Die Schmerzskala für das Reitpferd (Dr. Sue Dyson) Die Checkliste mit den 24 Verhaltensweisen (Dr. Sue Dyson) Die zusätzliche Verhaltenscheckliste nach Dr. Sue Dyson 70 78 83 88 Ladder of Aggression: Aggressives Pferdeverhalten (Renate Larssen, Dr. Diana Krischke) 64

Metastudien: Das Reiten hinter der Senkrechten schadet dem Pferdewohl (Dr. Kathrin Kienapfel)

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Die CAT-H-Methode: Konstruktiver Umgang mit der Pferdeangst (Julie Lannen)

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Neues aus der Wissenschaft: Da kommt was auf uns zu – Künstliche Intelligenz und das Reiten (Dr. Diana Krischke)

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Serie: Das Auge schulen (Karin Link und Jan Nivelle)

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Lieblingsbücher:„Forschung trifft Pferd. Neueste Erkenntnisse für ein besseres Verständnis“ (Cora von Hindte-Mieske)

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Fair zum Pferd-Campus-Programm Wi ssens ko nferenz: (WiKo)„Iberische Pferde“

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Adventskalender 2024

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Glosse Mr.P. & Me: Der Möhren-Heuturm

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Impressum

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Vorschau Heft 4/2024

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Foto Titelbild und Inhaltsverzeichnis: www.slawik.com Redaktionsanschrift: Birkenweg 10, 57629 Mörsbach, Tel.: 02688/988 65 38 Die Namen in Klammern bezeichnen die Autoren oder Interviewpartner des jeweiligen Artikels.

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„Je weniger Eisen im Maul, desto besser!“ Gaspard de Saunier, französischer Reitmeister (1663–1748)

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Foto: www.slawik.com

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Blick in die Reiterwelt Ist-Zustand: Blick in die Reiterwelt

Das Jahr 2024 wird wohl als ein „durchwachsenes“ Jahr für den Pferdesport in die Geschichte eingehen. Einerseits gab es aus deutscher Funktionärssicht die erfolg reichen Olympischen Spiele in Paris. Andererseits kamen Skandale ans Licht, deren Auswirkungen weit über den Pferdesport hinausgingen und die auch in den Leit medien behandelt wurden. Außer Spesen nix gewesen: Der Fall Werth Ich erspare es Ihnen, alle Skandale noch einmal aufzuzählen, möchte aber auf zwei Punk te kurz eingehen. Die Diskussion um blaue Zungen im Frühjahr, die einige Top-Dressur reiter betraf, führte dazu, dass wir ein Schreiben von Isabell Werths Anwalt erhielten. Da rin wurde uns mit rechtlichen Schritten gedroht, falls wir unseren Podcast beziehungs weise die beanstandeten Teile über Isabell Werth nicht offline nehmen würden. Wer die Details nachlesen möchte, findet den Artikel auf unserer Homepage. Am Ende verlief die Sache jedoch wie das sprichwörtliche „Hornberger Schießen“: Der Podcast ist weiterhin vollständig online und Isabell Werths Anwalt hat keine weiteren Schritte unternommen. Immerhin haben die Anwälte daran verdient. Dujardin – war da was? Auch um den Skandal der britischen Dressurreiterin Charlotte Dujardin ist es still gewor den. Ein kurz vor den Olympischen Spielen aufgetauchtes Video zeigte sie, wie sie in ei ner Minute 24 Mal auf ein Pferd einschlägt. Sie ergriff die Initiative und zog sich zurück, bevor die FEI sie schließlich vorläufig für sechs Monate sperrte. Auf Verbandsebene hat sich bis zu unserem Redaktionsschluss Mitte November 2024 jedoch nichts weiter getan. Wir dürfen gespannt sein, wie die abschließende Reaktion der FEI ausfallen wird. Unsere Petition: Über 88.000 Unterschriften Den Dujardin-Skandal nahm ich zum Anlass, eine Petition zu starten, die härtere Strafen durch die Verbände fordert. Kurz vor der Mitte November stattfindenden FEI-Jahresta gung haben wir die Petition geschlossen. Die über 88.000 (!) Unterschriften sind nun auf dem Weg zu den Verantwortlichen bei der FEI und der FN. Mal sehen, welche Reaktionen folgen werden. Eine Reaktion lässt sich schon jetzt benennen: Im Zuge der intensiven Diskussionen um den Dressursport hatte Klaus Roeser, Vorsitzender des Dressurausschusses des Deut schen Olympiade-Komitees für Reiterei (DOKR) und in seiner Funktion als Vorsitzender des IDRC (Internationaler Club der Dressurreiter), dazu aufgerufen, ihm konstruktive Vor schläge per E-Mail zu schicken. Gesagt, getan – unsere Petition landete in seinem Post fach. Reaktion: keine. Vielleicht war es etwas naiv von mir, zu glauben, dass ausgerechnet der Vertreter der Dressurreiter sich für härtere verbandsinterne Strafen einsetzen würde.

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Blick in die Reiterwelt

Übrigens: Klaus Roeser äußerte sich auf einer Pressekonferenz, die vor Kurzem im Um feld der FEI-Jahrestagung stattfand, ebenfalls zum Thema„blaue Zungen“. Seinen Aussa gen zufolge sei hier noch mehr wissenschaftliche Forschung nötig, wie dem Newsletter des St. Georg zu entnehmen war. Vielleicht schütteln Sie darüber jetzt genauso heftig den Kopf wie ich. Die Kritiker-Szene Kritiker der Reitsportszene gibt es reichlich – mich eingeschlossen. Reflexion und Kri tik sind wichtig, um sich weiterzuentwickeln. Doch im Reitsport scheinen die Uhren et was anders zu ticken. Auf Funktionärsebene lautet die Devise offenbar „Wir bleiben in unserer Blase“. Alternativ denke ich an die drei Affen, die nichts hören, nichts sehen und nichts sagen. Diese Starrheit birgt Gefahren, wie die FN in diesem Jahr selbst zu spüren bekam: ein tiefes Haushaltsloch und personell – höflich formuliert – nicht optimal aufge stellt. Ob der neue Präsident das ändern wird? Ich wünsche ihm viel Glück. Die Wissenschaft und der gemeinsame Nenner Manchmal übertreiben wir die Kritik, finde ich. Einige stellen alles, was nicht der klassi schen Reitlehre entspricht, als Teufelswerk dar. Auch ich bin kein Fan von Abweichun gen, aber: Können wir bitte auch die Menschen im Fokus behalten? Diejenigen, die sich wirklich bemühen, ihren Pferden die bestmöglichen Haltungs- und Trainingsbedingun gen zu bieten? Das sollten wir nicht einfach abtun. Wer nicht mehr miteinander spricht, wird auch nichts verändern können. Auch deshalb liegt mir unser Heftthema„Wo hört die Harmonie auf?“ so sehr am Herzen. Lassen Sie uns gemeinsam betrachten, was die Wissenschaft sagt – und das reitweisenü bergreifend. Was sind Stress- und Schmerzindikatoren beim Pferd? Können wir uns bitte darauf einigen, dass wir (übermäßigen) Stress und Schmerz bei unseren Pferden nicht sehen wollen? Dass wir verantwortungsvoll genug sind, um uns auf den kleinsten ge meinsamen Nenner zu einigen? Persönliche Befindlichkeiten in den Hintergrund stellen – für die Pferde. Das kriegen wir hin. Seien Sie bitte ein Teil davon! (cls)

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Soziale Medien Der Ist-Zustand: Pferde in sozialen Medien – viele Missverständnisse rund ums Pferd Bilder und Videos von Pferden in allen möglichen Trainings- und Alltagssituatio nen sind heutzutage in den sozialen Netzwerken zu sehen. Dass dort auch Sze nen von Überforderung und Harmonieverlust dabei sind, ist schon aufgrund der Menge wenig überraschend. Wie gut solche Situationen in der Internet-Communi ty erkannt werden, hat Michelle Strelow in einer Bachelor-Arbeit untersucht. Steffi Spielhaupter bietet in ihrem Instagram-Account Videos an, mit denen ihre Follower ihren Blick schulen können. Die Darstellung von Pferdesport und Training in der Öffentlichkeit war das Oberthema der Bachelor-Arbeit, die Michelle Strelow in ihrem Studium Ökologischer Agrarwissen schaft zu den Bereichen Tierethik und Pferdewissenschaften geschrieben hat. Dazu wer tete sie eine Stichprobe von rund 50 Instagram-Beiträgen aus, die sowohl von Privatper sonen als auch von professionellen Trainern stammten. Stress beim Pferd war dabei ein zentraler Aspekt:„Wie kann ich erkennen, dass ein Pferd Stress hat? Und wie sehe ich, wie sich mein Handeln auf das Pferd auswirkt?“, nennt Michelle Strelow ihre Fragestellung. Spannend war, wie die Menschen im Netz auf die Szenen, in denen Pferde deutliche Stresssignale zeigten, reagierten. Dabei wertete Michelle Strelow sowohl die Darstellung derjenigen, die den Content veröffentlicht haben, als auch die Reaktionen der Follow er aus. Eine Erkenntnis: „Stress- und Angstsignale werden von uns Reitern oft nicht er kannt.“ Michelle Strelow sieht mit ihrer Stichprobe eine Studie von 2021 bestätigt. Darin sollte ermittelt werden, wie gut Experten aus dem Pferde- und Veterinärbereich Stress anzeichen bei Pferden im Rahmen tierärztlicher Behandlungen deuten können. Bei der Befragung fiel die Bewertung der Stressanzeichen sehr unterschiedlich aus. Die befrag ten Experten waren sich vor allem bei subtilen Hinweisen auf Stress uneinig. Dieses Bild zeichnete sich für Michelle Strelow in ihrer Stichprobe unter den „Experten“ auf Insta gram ebenfalls ab. Stress wird als Freude interpretiert „Ich fand es interessant, die Sprache der Beiträge zu untersuchen. So wurden klare Stressanzeichen, zum Beispiel Abwehrhandlungen wie Buckeln, als etwas Positives be wertet. Zum Beispiel, dass sich das Pferd freut.“ Michelle Strelow gibt ein Beispiel: Ein Pferd, das beim ersten Satteln gebockt habe, wurde als „voller Lebensfreude“ beschrie ben. Solche Fehlinterpretationen gab es sowohl von den Erstellern der Beiträge als auch von ihren Followern in den Kommentaren. Ein weiteres Ergebnis aus Michelle Strelows Auswertung: „Ich fand es erstaunlich, wie viel Stress Pferde auch bei alltäglichen Trainingssituationen haben.“ Als Beispiel nennt sie das Erarbeiten neuer, vergleichsweise unspektakulärer Lektionen wie dem Rück wärtsrichten, wo über Stressanzeichen wie Kopf hochreißen und Muskeln anspannen oft einfach „hinweggeritten“ würde. „Die Signale werden teils nicht erkannt, teilweise aber auch einfach nicht ernst genommen.“ So komme es nicht zu einer Reflexion darüber, ob

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es Handlungsalternativen gäbe, die weniger Stress auslösen. Etwa, die Übung in kleinere Schritte aufzuteilen, damit das Pferd die Aufgabe besser versteht. Die Stresssignale zu erfassen sei allerdings nicht einfach, räumt Michelle Strelow ein. Sie achtete in ihrer Stichprobe auf klassische Anzeichen wie eine angespannte Maulpartie, einen hohen Muskeltonus und dreieckige Augen – wobei auch diese kein eindeutiges Signal seien: „Extrem runde Augen können zum Beispiel auch auf Stress hindeuten, das ist dann ein Beschwichtigungssignal.“ Gerade Beschwichtigungssignale werden oft nicht wahrgenommen, hat Michelle Strelow festgestellt. Dazu gehören auch das Absenken des Kopfes und das Lecken und Kauen. „Da haben wir gelernt, das sei etwas Gutes.“ Dabei diene diese Handlung oft dazu, Stress abzubauen und zu ver arbeiten. Ein klares Bild ergibt sich nur im Kontext Um genug Kontext zur Bewertung zu haben, nutzte Michelle Strelow vor allem längere Videos. Denn allein der Blick auf das Pferd war zur Beurteilung zu wenig, die gesamte Situation wurde ausgewertet. Besonders häufiger Stressauslöser sei Druck, etwa beim Wegschicken in der Freiarbeit, Gerten- und Peitscheneinsatz oder zu schnelle Konfronta tion mit Furcht auslösenden Objekten. „Grundsätzlich sind es Situationen, in denen sich der Mensch groß und stark macht, um das Pferd zu etwas zu bewegen.“ Es sei meistens ein„Zuviel“, um schnell ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Es gab aber nicht nur falsche Einschätzungen. Viele Beitragsersteller – gerade die Laien – seien sehr selbstkritisch gewesen und hätten das Unwohlsein des Pferdes durchaus gesehen und auch benannt. Etwa die Hälfte der Stresssituationen wurden erkannt, vor allem sehr deutliche Signale der Pferde.„Manche Trainer und Reiter zeigen bewusst auch solche Sequenzen und erläutern, was daran schlecht war“. Das sei von den Followern dieser Accounts gut angenommen worden. Allerdings sei auch deutlich die „Bubble“ in den sozialen Medien erkennbar: Follower von Accounts, die stressbehaftete Trainings Szenen positiv bewerteten, waren weniger kritisch als die Community von selbstkriti schen Content-Erstellern. Und weniger Selbstkritik, dafür aber positive Erklärungen für unschöne Bilder gab es öfter bei Profis, die im Netz ihre eigene Methode vermarkten, berichtet Michelle Strelow. Jeglichen Stress im Training zu vermeiden, fordert Michelle Strelow als Fazit ihrer Arbeit nicht:„Stress ist etwas, das wir zum Lernen brauchen. Aber es muss eine klare Grenze ge setzt werden, wann es zu viel ist.“ Sie nutzt zur Überprüfung den „vernünftigen Grund“ nach dem Tierschutzgesetz: „Ist das Maß an Stress noch verhältnismäßig für das, was ich erreichen will? Und gibt es möglicherweise eine Alternative, um das zu erreichen?“ Wich tig sei, genau hinzusehen:„Sieht mein Pferd glücklich aus? Sieht es so aus, wie ich es ge wohnt bin?“ Dafür helfe es auch, sich selbst bei der Arbeit mit dem Pferd zu filmen, um selbst den Blick von außen zu haben. Den Blick immer wieder schulen Den Blick zu schulen ist das Ziel von Steffi Spielhaupter mit ihrem Instagram-Account „Science for Soundness“. Dort zeigt sie regelmäßig Videos von Pferden in unterschied

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lichen Situationen und fordert ihre Follower auf, die Szenen zu deuten. Später veröffent licht sie die Videos erneut mit ihrer Interpretation. Steffi Spielhaupter hat in England ih ren Bachelor und Master in Equine Science (Pferdewissenschaft) gemacht und ist Pferde massagetherapeutin. Sehr viel hat sie aber auch von ihren eigenen Pferden erfahren:„Ich habe gemerkt, dass es nicht reicht, zu wissen, wie Pferde trainiert werden können. Ich muss auch verstehen, was sie mitbringen, wie ihre Persönlichkeit ist und wo ihre Gren zen sind.“ Hinzuschauen und alles zu hinterfragen sind die wichtigsten Forderungen von Steffi Spielhaupter. Dafür bietet sie immer wieder Videos an, die oft ganz unspektakulär sind, die Pferde einfach in ihrem Alltag zeigen. Immer mit der Aufforderung:„Sagt mir, was ihr seht.“ Jede Antwort ist richtig, jeder darf beschreiben, was er oder sie in den Videos er kennt. „Wenn sie auf ihr Gefühl hören, können viele Leute die Pferde richtig deuten“, ist ihre Erkenntnis. Allerdings gäbe es gerade auch im Internet so viele Szenen zu sehen, in denen es nicht gut läuft, dass sich die Menschen daran gewöhnen und das Vertrauen in ihre eigene Einschätzung verlieren. Aber bei ihren Videos würden doch sehr viele mit ihrem Tipp richtig liegen. Stressanzeichen können sehr unterschiedlich sein Die Überlebens-Modi Kampf oder Flucht würden dabei grundsätzlich am besten er kannt. Bei einem Pferd, das heftig buckelt oder durchgeht, sehe jeder den Stress. Ein neues Pferd in Steffi Spielhaupters Leben brachte aber Dissoziation mit ins Spiel:„Andere sehen dann ein super entspanntes Pferd. Aber ich sehe ein Pferd, das sich aus der Situa tion sozusagen rausbeamt. Das ist sehr schwer zu erkennen.“ Augen zusammenkneifen, Weniger eindeutig ist die Beschwichtigung, zu der als auffälligstes Merkmal die Kaubewegungen von Fohlen bei der Begegnung mit anderen Pferden zählen. Be schwichtigung kann sich durch Abwenden, das Senken des Kopfes, Lecken und Kauen, häufiges Blinzeln oder Gähnen äußern. Solche Zeichen werden dann leicht als höfliches Verhalten, Entspannung oder Müdigkeit missverstanden, und die Un terscheidung ist oft nur im Kontext möglich. Eine weitere Reaktion, oft auf anhal tenden Stress, der nicht bewältigt werden kann, ist die Dissoziation. Das Pferd geht dabei mental auf Distanz zu der Situation, es wirkt „weggetreten“, beschreibt Steffi Spielhaupter die Situation. Eine extreme Form ist der „Shutdown“, wenn das Pferd in extremen Situationen fast bewusstlos wirkt, etwa wenn Pferde längere Zeit fest liegen. In diesem Zustand hat sich das Pferd komplett aufgegeben, was sich sogar körperlich lebensbedrohlich auswirken kann. Überlebens-Modi Steffi Spielhaupter benennt vier Überlebens-Modi: Flucht, Kampf, Einfrieren und Be schwichtigung. Insbesondere die ersten beiden sind eindeutig zu erkennen: Stei gen und Buckeln oder Durchgehen, meistens als direkte Reaktion auf akuten Stress. Beim Einfrieren verharrt das Pferd in einer Art Schockstarre, meistens aufgerichtet und extrem angespannt mit deutlich geweiteten Augen.

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