Blick in 2020/4

Biomechanik Biomechanik: Von Yoga bis Bodybuilding – Wendungen um die Vor- und Hinterhand

Wendungen um die Vor- und Hinterhand gehören – zumindest im Schritt ausge- führt – nicht zu den spektakulären Übungen. Doch die langsame Ausführung macht Fehler gnadenlos sichtbar und Schummeln unmöglich. Kurzum: Bei Vor- hand-, Hinterhand- und Kurzkehrtwendung sowie der Schrittpirouette steckt der Teufel im Detail. Das Betrachten der biomechanischen Abläufe macht deutlich, wa- rum es lohnt, sich den Herausforderungen dieser Lektionen zu stellen. Die Vorhandwendung: Ausgleich für hohe Versammlung Manchmal erschließt sich das Potenzial einer Lektion nicht auf den ersten Blick. So zum Beispiel bei der Vorhandwendung, die gern als Anfängerübung abgestempelt und von fortgeschrittenen Reitern deshalb oft komplett ignoriert wird. Karin Link, Sportpferde- therapeutin aus Siegburg, erklärt, wie sich das Pferd beim Wenden um die Vorhand be- wegen sollte: „Das Pferd ist entgegen der Bewegungsrichtung gestellt und nicht gebo- gen. Die Hinterhand tritt kreuzend in einem Halbkreis um die Vorhand herum. Diese be- schreibt einen Halbkreis mit sehr kleinem Radius, wobei der Wendepunkt nah am inne- ren Vorderbein liegt.“ Während also die Hinterbeine vorwärts-seitwärts kreuzend große Bewegungen vollführen, tritt das innere Vorderbein fast auf der Stelle. Tritt das innere Hinterbein kreuzend unter den Körper, verkürzen sich die Adduktoren der Hinterbeine, die sich unterhalb des Beckens und an der Innenseite der Oberschenkel befinden. Gleichzeitig werden die Abduktoren an der Außenseite von Becken und Ober- schenkeln gedehnt. Zu ihnen zählen vor allem die Gluteal-(Kruppen-)muskulatur sowie der Musculus biceps femoris. Macht das äußere Hinterbein anschließend einen Schritt zur Seite, werden die Adduktoren beider Hinterbeine gedehnt und die Abduktoren ver- kürzen sich. „Dieses Wechselspiel von Anspannen und Dehnen fördert die Funktion der Muskulatur“, betont Karin Link. In dem Moment, in dem das innere Hinterbein seitlich übertritt, kommt es zu einer Drehung des Rumpfes nach innen. „Durch diesen Bewe- gungsablauf werden das Kreuz-Darmbein-Gelenk und das Hüftgelenk mobilisiert. Die großen Bewegungen der Hinterhand werden durch die Bauch- und Lendenmuskulatur unterstützt“, erklärt Karin Link. In der Vorhand werden bei der Vorhandwendung vergleichsweise kleine Bewegungen ausgeführt, die jedoch von großer Bedeutung sind, wie Karin Link deutlich macht: „Das Pferd sollte mit dem inneren Vorderbein aktiv und fast auf der Stelle treten. Bei korrekter Ausführung wird durch die Bewegung des Schulterblatts die Oberhalsmuskulatur veran- lasst, korrekt zu arbeiten und die Unterhalsmuskulatur entspannt sich.“ Für Karin Link hat die Vorhandwendung durchaus einen therapeutischen Nutzen: „Die Hüftbeuger und der Musculus quadratus lumborum, der die Lendenwirbelsäule stabi- lisiert und beugt, sind durch die versammelnde Arbeit bei vielen Dressurpferden ver-

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