Blick: 01_2023

Exterieurbeurteilung Korrekt gebaut – aber nicht leistungsbereit? Exterieurbeurteilung und warum sie nicht alles ist Ein korrektes Exterieur ist nicht nur ein Schönheitsideal. Es spielt auch eine wichti ge Rolle für Funktionalität und Gesunderhaltung des Pferdes. Bei der Exterieurbe urteilung werden zahlreiche einzelne Merkmale bewertet. Dennoch sollte der Blick auf das große Ganze nie verloren gehen. In den 32 Jahren seiner Tätigkeit als Zuchtleiter und Geschäftsführer des Holsteiner Ver bandes hat Dr. Thomas Nissen unzählige Pferde gesehen und beurteilt. Inzwischen ist der Agraringenieur zwar im Ruhestand, aber als Tierwohlbeauftragter weiterhin im Ver band aktiv. Bei der Exterieurbeurteilung ist ihm etwas Grundsätzliches wichtig: „Nichts ist schlimmer als Fehlerguckerei. Das perfekte Pferd gibt es nicht. Pferdebeurtei lung ist immer ein Abwägen von Vor- und Nachteilen, wobei ich berücksichtigen muss, in welchen Ausprägungen Abweichungen vom Ideal auftreten und wie schwer sie wiegen. Dazu gehört viel Erfahrung. Keinesfalls sollte sich der Beurteilende gleich auf die vermeintlichen Fehler stürzen. Ich muss das Pferd erst einmal auf mich wir ken lassen – und beginne dann, die positiven Merkmale herauszustellen. Wenn ich ein Pferd beurteile, versuche ich grundsätzlich, mich nicht zu sehr in Einzelheiten zu verlie ren.“ Ein Blick auf das Gesamtbild liefert bereits wichtige Erkenntnisse, für die kein Maß band angelegt werden muss, macht er deutlich: „Das Bild soll in allen Proportionen stim mig sein.“ Er erklärt auch, warum das Exterieur nicht die wichtigste Rolle bei der Beurteilung ei nes Pferdes spielt: „Die letzte Korrektheit braucht ein Pferd nicht, denn wenn es um Leistungsfähigkeit geht, spielt sich das meiste im Kopf ab. Die ganz großen Beschä ler waren alle keine Exterieurpferde. In der Zucht ist es notwendig, hier auch Kompro misse zu machen. Sonst haben wir schöne Pferde, die aber keine Leistung bringen.“ Ganz unbedeutend ist das Exterieur eines Pferdes dennoch nicht. Die angesprochenen Kom promisse beziehen sich nur auf kleinere Abweichungen vom Ideal, schränkt Thomas Nis sen ein: „Grobe Exterieurfehler sind nicht erwünscht, denn sie führen in vielen Fällen zu vorzeitigemVerschleiß. Dennoch möchte ich noch einmal betonen: Viel wichtiger als das Exterieur ist das Interieur.“ Grundsätzliches zur Beurteilung Bei der Beurteilung eines Pferdes werden zuvor festgelegte Merkmale mit Noten von 1 bis 10 bewertet. „Wir beurteilen bei uns in Holstein sieben Merkmale: den Typ, die Oberlinie, die Vorhand, die Hinterhand sowie die drei Grundgangarten Schritt, Trab und Galopp“, sagt Thomas Nissen. Möglich ist auch eine Unterteilung in Vor-, Mittel- und Hinterhand. „Mit diesen sieben Merkmalen kann ich ein Pferd schon gut beschreiben. Da der Züchter oder Pferdehalter aus deren Benotung allein aber nicht ersehen kann,

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