B: Rückwärtsrichten

Biomechanik Rückwärtsrichten: Gut gebeugt zur gesunden Haltung Das Rückwärtsrichten kommt bei manchen Reitern nur deshalb im Trainingspro- gramm vor, weil es in Dressurprüfungen gefordert wird oder „irgendwie dazuge- hört“. Dabei kann die Übung viel zur Gymnastizierung des Pferdes beitragen. Karin Kattwinkel, gelernte Hufpflegerin, Pferdefachtherapeutin und -gesundheitstraine- rin sowie Gründerin des „Lehrinstituts für ganzheitliche Pferdegesundheit Equo Vadis”, lässt ihre Pferde schon ab dem Fohlenalter immer wieder ein paar Tritte rückwärtsrich- ten. „Das hat mehrere Vorteile: Es hat einen erzieherischen Nutzen, die Pferde werden sanfter im Umgang und außerdem geschickter“, sagt die studierte Agrarwissenschaft- lerin aus Lohmar. Ihr fallen eine Reihe weiterer positiver Aspekte des Rückwärtsrichtens ein: „Es dient der Gymnastizierung und der Kräftigung der Muskulatur und es kann die Neigung zum Pass korrigieren. Des Weiteren kann Rückwärtsrichten unter anderem bei Beckenschiefständen zur Anamnese dienen. ImWechsel mit einer Vorwärtsbewegung – in der Schaukel – fördert es Balance, Koordination, Gleichgewicht und Reaktionsbereit- schaft des Pferdes.“ Rückwärtsrichten macht fit Auch Katrin Obst, Physiotherapeutin für Pferde aus Mettmann bei Düsseldorf, nutzt das Rückwärtsrichten gezielt zum Gymnastizieren und zur Therapie. Sie erklärt, was dabei passiert: „Die Bauchmuskeln werden aktiviert und das Becken wird nach hinten abge- kippt. Die Hinterhand nimmt mehr Last auf, wobei die Gelenke vermehrt gebeugt wer- den. Befindet sich die Nase des Pferdes dabei etwa auf Höhe des Buggelenks, spannt sich das Nacken-Rückenband.“ Dieses Band verläuft vom Hinterhauptsbein kommend am Mähnenkamm entlang bis zumWiderrist und von dort aus, angeheftet an die Dorn- fortsätze der Wirbelsäule, weiter bis zum Kreuzbein. Im Rückwärtsrichten bewirkt es das Gleiche wie in der Versammlung: „Durch den Zug des Nacken-Rückenbandes werdenWi- derrist und Rücken angehoben“, erklärt Katrin Obst. Bei Pferden, die bereits in der Lage sind, sich stärker zu versammeln, funktioniert dieser Mechanismus auch bei einer etwas höheren Kopfhaltung. „Maßgeblich ist, dass das Genick immer der höchste Punkt bleibt“, fügt Karin Kattwinkel hinzu. Sie beschreibt, warum das Rückwärtsrichten die Haltung des Pferdes verbessern kann: „Das Aufdehnen der Oberlinie hat zur Folge, dass sich der Brustkorb hebt. Zudem wer- den die Rumpfträger, also die muskuläre Verbindung zwischen Rumpf und Vorderglied- maßen, aktiviert. Deshalb kann das Rückwärtsrichten, eine korrekte Ausführung voraus- gesetzt, einer Trageerschöpfung entgegenwirken.“ Karin Kattwinkel weist zudem darauf hin, dass im Rückwärtsrichten neben Sprunggelenk, Knie und Hüftgelenk auch die klei- neren Gelenke der Hinterhand – das Huf-, Kron- und Fesselgelenk – vermehrt gebeugt und damit beansprucht werden. „Die Beugemuskulatur der Hinterhand hat daher im Rückwärtsrichten viel Arbeit.“ Diese sogenannten langen Sitzbeinmuskeln („Hosen“), der Musculus biceps femoris, der Musculus semitendinosus und der Musculus semimem- branosus, die auch für die Hankenbeugung in der Versammlung eine wichtige Rolle

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