2/22: Blick ins Heft

Blick in die Literatur

Der Sitz des Reiters: nahtlos mit dem Pferd verwachsen

Geschmeidig, ungezwungen, elegant – ein guter Sitz zu Pferde ist nicht nur eine Frage der Ästhetik, sondern die Bedingung dafür, dass aus dem bloßen „Auf-dem Pferd-Sitzen“ Reiten werden kann. Die wichtigste Rolle spielt dabei die körperliche und psychische Losgelassenheit des Reiters, die es ihm ermöglicht, in den Bewe gungen des Pferdes sein Gleichgewicht zu finden und so das Pferd über den Sitz zu beeinflussen. Dass das Erreichen von Losgelassenheit und Gleichgewicht untrenn bar mit dem Sitzen auf dem dafür bestimmten Körperteil verbunden ist, zeigt ein Blick in die Literatur. Dass es „den korrekten Sitz“ gibt, darüber herrscht in der Literatur durch die Jahrhunder te hindurch weitgehend Einigkeit – nur eben veränderte sich im Laufe der Zeit die Auf fassung, wie dieser Sitz auszusehen habe. Der „korrekte Sitz“ war deshalb auch immer ein „Kind seiner Zeit“ – und auch das, was uns heute steif und unbequem vorkommen mag, war einmal ein Ideal, dem nachgeeifert wurde. So beschreibt Antoine de Pluvinel (1552–1620) in seinemWerk„L‘instruction du roy en l‘exercice de monter à cheval“ (1625, dt. „Neuauffgerichte Reut-Kunst“, 1670) den wäh rend der Renaissance üblichen„Spaltsitz“, bei dem der Reiter nicht auf dem Sitzbein, son dern auf dem Schambein sitzt: „Sehen Eure Majestät wol, wie er im Sattel sitzt, dass er solchen kaum berührt außer in der Mitte, sich hütend, damit er mit dem Unter-Leib den Effter nicht anrühre, und dadurch zu sitzen komme, dann man sich so auffrichtig im Sat tel halten muß, als stünde man mit den Füßen auf der Erde.“ Die Beine sind dabei fast ge rade und etwas nach vorn gestreckt: „E. M. nehmen auch wahr die Postur der Schenckeln welche er außsttreckt und mit dem Fuß gar fest in die Bügel tritt, (...). Die Fersen drückt er etwas niedrig, und wendet solche ein wenig außwerts, daß die Sohlen mögen gesehen werden.“ Dabei werden die Knie ans Pferd gedrückt („mit Gewalt geschlossen“), um sich solcherart überhaupt auf dem Pferd halten zu können: „dann es gewiß ist, daß diß das einzige Mittel sich auff dem Pferd fest zu halten, so fern man dem Leib sein recht Gegen gewicht gibt, wie die Notturft erfordert.“ Beim Sitzen auf dem Spalt ist das Anpressen der Knie tatsächlich die einzige Möglichkeit, in der Bewegung des Pferdes nicht aus dem Sattel zu rutschen – von der bei Guériniè re geforderten Losgelassenheit des Sitzes und damit der bequemen Haltung zu Pferde ist diese „Wäscheklammerpositur“ daher noch weit entfernt. In ganz ähnlichen Worten wie Pluvinel beschreibt auch der Herzog von Newcastle (1592–1676) in seinem Buch „Méthode et invention nouvelle de dresser les chevaux“ (1658, dt. „Neu-eröffnete Reit Bahn“, 1700) diese Sitzposition, wobei er noch nachdrücklicher fordert, keinesfalls auf dem Gesäß zu sitzen: „(...) so muß man sich auf die Gabel, oder Spaltung des Leibes, und nicht auf den Hinter-Theil setzen, als welchen die Natur scheinet gemacht zu haben, sich überal (ausgenommen nur nicht im Reiten) darauf zu setzen.“ Folgerichtig soll der Reiter den größtmöglichen Abstand zwischen sich und den hinteren Teil des Sattels bringen: „Sitzt man also im Mittel des Sattels, so muß man sich so viel wie möglich gegen den Sattel-Knopf hervor rucken, daß zwischen dem Gesäß und dem hintern Sattel-Bogen ein

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