2/22: Blick ins Heft

Blick in die Literatur

dem er den Begriff des Schwerpunkts ins Spiel bringt: „Nach den Grundsätzen, die wir in der Folge noch mehr in ein helles Licht setzen wol len, hat das Pferd, wenn es ins Gleichgewicht gesetzt ist, einen Schwerpunct, in welchem alle Schwere und auch alle Kräfte vereinigt sind. (...) Auf diesen Punct muss sich der Mensch setzen.“ Der Mensch muss also seinen Schwerpunkt mit dem des Pferdes überein bringen: „Alle Körper haben ihren Schwerpunct, der Mensch wie das Pferd, alle sind nach einer senkrechten Linie ge richtet. Diese Linien müssen aufeinander gesetzt werden, jedoch so, daß die Richtung der Schwer puncts-Linie des Menschen nicht mit der Kraft seines Körpers vermischt werde, (...).“ Auch wenn Dupaty de Clam die Begriffe Ungezwungenheit oder Losgelassenheit nicht ausdrücklich ver wendet, geht aus dem letzten Satz hervor, dass das Sitzen im Schwerpunkt – also im Gleichge wicht – von der Aufwendung von Muskelkraft unabhängig sein muss und insofern Losgelas senheit des Sitzes bedingt. Weitergeführt und um weitere Aspekte ergänzt wird dieser Gedankengang im 19. und 20. Jahr hundert unter anderem von Gustav Stein brecht (1808–1885) und Waldemar Seunig (1887–1976), wo es um den Begriff des Norm sitzes und damit um die Frage geht, ob der Sitz des Reiters in jeder Hinsicht der Definition des Dressursitzes und damit einer bestimmten äu ßeren Form entsprechen muss, um „korrekt“ zu sein. Dieses Thema hatte zuerst an Bedeutung gewonnen, als sich mit dem Aufkommen des Spring- und Vielseitigkeitsreitens als sportliche Disziplinen der Entlastungssitz und der leichte Sitz aus dem Dressursitz entwickelten, die bei de deutlich von dessen äußerer Form abwichen. Sowohl für Steinbrecht als auch für Seunig ist der Maßstab für Korrektheit einzig das Sitzen im Gleichgewicht, das ja auch mit kürzeren Bügeln und einer veränderten Position von Oberkörper und Beinen ohne Weiteres möglich ist, selbst wenn sich das Gesäß nicht im Sattel befindet.

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DS 02/22

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