Blick: Die Arbeit am Langen Zügel

Literatur

Die Arbeit am Langen Zügel: Von Wien aus nach Europa

Gut durchgeführte Arbeit am Langen Zügel sieht sehr anmutig und auf den ersten Blick gar nicht so schwierig aus. Doch der Schein trügt: Was so leicht scheint, ist in Wahrheit die Königsdisziplin und zumindest in ihrer „klassischen“ Variante das Ergebnis jahrelanger Ausbildung von Pferd und Reiter. Darüber hinaus ist die Ar- beit am Langen Zügel wohl diejenige reiterliche Kunst, über die es bislang am we- nigsten Schriftliches gibt. Dies ändert sich jedoch zunehmend, denn immer mehr Reiter entdecken diese anspruchsvolle Arbeit mit dem Pferd für sich. Die Arbeit am Langen Zügel – was für ein spannendes Thema! Dazu sollte sich doch reichlich Literatur finden lassen, ist da der erste Gedanke. Doch zumindest was die Alten Meister angeht, trifft das nicht zu. Bei de la Guérinière, Hünersdorf, Löhneysen, Andrade und aus späterer Zeit Seeger, Steinbrecht, v. Krane, Seidler, Spohr und schließlich Seunig, sonst verlässliche und reichlich sprudelnde Quellen, steht dazu rein gar nichts. Das ver- wundert, denn schließlich gibt es zum Thema eine Reihe aktueller Bücher. Zudem gibt es auch einige Ausbilder, die diese Kunst ausüben. Und nicht zuletzt hat die Arbeit am Langen Zügel an Stätten wie der Spanischen Hofreitschule in Wien, dem Cadre Noir in Saumur, der Fundación Real Escuela Andaluza Del Arte Ecuestre in Jerez und der Escola Portuguesa de Arte Equestre in Queluz Tradition. Warum also findet sich dazu nichts bei den klassischen Autoren? Eine Antwort liefert Prof. Dr. Ulrich Schnitzer, ein Schüler Egon von Neindorffs, in seinem Buch „Pferde versammeln vom Boden aus“ (2015): „In den großen historischen Lehrbü- chern von de la Gueriniére bis v. Weyrother, Seeger oder Steinbrecht sucht man vergeb- lich nach Hinweisen auf die Arbeit am langen Zügel. Weder in den ‚Urdirektiven‘ der K.- u.-K-Spanischen Reitschule aus dem frühen 18. Jahrhundert noch in den Direktiven von 1898 findet sie Erwähnung. Dennoch ist diese Arbeitsweise als Entwicklung der Hofreit- schule zu betrachten, und sie wurde bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts auch nur in dieser präsentiert. Seit den frühen 50er-Jahren war sie Bestandteil auch der Veranstal- tungen im Reitinstitut Egon von Neindorff. Noch in den Achtzigern stand Arbeit am lan- gen Zügel nicht auf den Programmen etwa der iberischen Schulen oder des Cadre Noir in Saumur.“ Insofern hat die Spanische Hofreitschule in Wien darin also offenbar nicht nur die drei anderen Schulen in Frankreich, Spanien und Portugal maßgeblich beeinflusst, die die Ar- beit am Langen Zügel in ihr Repertoire aufgenommen haben, sondern sie ist auch für den „Privatmann“ Egon von Neindorff eine prägende Station seiner reiterlichen Ausbil- dung gewesen, die er unter anderem bei Alois Podhajsky erhielt. Dass die Arbeit am Lan- gen Zügel heute hierzulande viele Anhänger hat, ist daher sicher vor allem auch Egon von Neindorff zu verdanken. Aus dessen Reitinstitut sind Ausbilder hervorgegangen, die die Arbeit am Langen Zügel auf höchstem Niveau praktizieren, dieses Wissen wiederum

8

DS 04/21

Made with FlippingBook Digital Publishing Software