Blick: Die Arbeit am Langen Zügel
Blick in usner Heft 4/2021
04/21 Dezember 2021 bis März 2022
8,90 EUR (D) 9,80 EUR (A) 17,80 SFR (CH) 9,90 EUR (BeNeLux) 11,60 EUR (ES, I)
DieArbeit amLangen Zügel
Jahrgang XVII | ISSN 1860-3963 ISBN 9783-9818-79421
1 Das Magazin zur Aus- und Weiterbildung von Reiter und Pferd www.dressur-studien.de | www.fair-zum-pferd.de
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Liebe Leserinnen und Leser, die Arbeit am „Langen Zügel“ oder „Langzügelarbeit“ – wie heißt es denn nun richtig? Das kommt ganz darauf an, wen Sie fragen. Die reine klassische Arbeit, so wie sie in der Spa- nischen Hofreitschule mit den Langen Zügeln betrieben wird, nennt sich „Arbeit am Langen Zügel“, worauf die Akteure üb- rigens auch sehr viel Wert legen. Dort gilt sie als die Krönung der Ausbildung: All das, was das Pferd unter dem Sattel kann, wird nun mit dem Reiter am Boden gezeigt. Andere setzen den Langen Zügel dagegen als Ausbildungs- hilfe ein: Sie zeigen dem Pferd damit am Boden, was es un- ter dem Sattel einmal mit Reiter leisten soll. Das Argument der Befürworter der „Langzügelarbeit“: Dem Pferd falle vieles leichter, wenn der Reiter nicht im Sattel sitze. Bewegungsab- läufe ließen sich so unproblematischer erlernen. Und dazwischen gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Aus- bilder, die beides vermischen und sich der Arbeit mit dem Langen Zügel immer dann bedienen, wenn sie es für das je- weilige Pferd gerade sinnvoll halten. Ich finde, alle diese Argumente haben ihre Berechtigung. Eines ist sicher: Die Arbeit mit den Langen Zügeln ist eine schöne Abwechslung fürs Pferd und hält auch den Reiter fit. In dem Sinne:
Editorial
Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht Ihnen Ihre
Claudia Sanders
Das geht auch sortierter! Orgulloso und Claudia Sanders. Foto: www.slawik.com
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Die Arbeit am Langen Zügel!
Editorial (Claudia Sanders)
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Die Arbeit am Langen Zügel: Von Wien aus nach Europa (Cora von Hindte-Mieske)
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Spanische Hofreitschule: „Die ultimative Dressur“ am Langen Zügel (Andreas Hausberger) 12
Am Langen Zügel Körper und Geist trainieren (Stefan Schneider, Sabine Ellinger)
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Der Mensch: Mit Fitness und Selbstbeherrschung zum Erfolg (Anne Wölert)
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Inhalt
Was ein Pferd für die Arbeit am Langen Zügel können und lieber lassen sollte (Michael Laußegger, Ruth Giffels)
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Die Ausrüstung (Corinna Scholz)
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Schreiten statt laufen: Die richtige Schritttechnik (EberhardWeiß) 35
Praxisteil mit Übungsreihen
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Die Arbeit an den Grundlagen (Andrea Lipp, Babette Teschen)
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Robert Stodulka: Die Arbeit am Langen Zügel als gesunderhaltendes Training
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Saskia Gunzer: „Die Faszination liegt im Minimalistischen“
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Richard Hinrichs: „Freude an der schönen Präsentation“
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Nicole Künzel: „Mit inneren Bildern am Langen Zügel unterwegs“ 80
Marius Schneider: Die Arbeit am Langen Zügel in der Akademischen Reitkunst
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Corinna Hengefeld: Der Galopp am Langen Zügel
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Allerlei
Serie: Das Auge schulen (Karin Link und Jan Nivelle)
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Adventskalender 2021
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Fair zum Pferd-Campus-Programm
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Alles was Recht ist: Was das neue Tierarzneimittelgesetz für Pferdeleute bedeutet (Nils Michael Becker) 126
Glosse Mr.P. & Me: Das dritte Pferd
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Impressum
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Vorschau Heft 1/2022
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Foto Titelbild und Inhaltsverzeichnis: www.slawik.com Redaktionsanschrift: Birkenweg 10, 57629 Mörsbach, Tel.: 02688/988 65 38 Die Namen in Klammern bezeichnen die Autoren oder Interviewpartner des jeweiligen Artikels.
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Foto: www.slawik.com
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Literatur
Die Arbeit am Langen Zügel: Von Wien aus nach Europa
Gut durchgeführte Arbeit am Langen Zügel sieht sehr anmutig und auf den ersten Blick gar nicht so schwierig aus. Doch der Schein trügt: Was so leicht scheint, ist in Wahrheit die Königsdisziplin und zumindest in ihrer „klassischen“ Variante das Ergebnis jahrelanger Ausbildung von Pferd und Reiter. Darüber hinaus ist die Ar- beit am Langen Zügel wohl diejenige reiterliche Kunst, über die es bislang am we- nigsten Schriftliches gibt. Dies ändert sich jedoch zunehmend, denn immer mehr Reiter entdecken diese anspruchsvolle Arbeit mit dem Pferd für sich. Die Arbeit am Langen Zügel – was für ein spannendes Thema! Dazu sollte sich doch reichlich Literatur finden lassen, ist da der erste Gedanke. Doch zumindest was die Alten Meister angeht, trifft das nicht zu. Bei de la Guérinière, Hünersdorf, Löhneysen, Andrade und aus späterer Zeit Seeger, Steinbrecht, v. Krane, Seidler, Spohr und schließlich Seunig, sonst verlässliche und reichlich sprudelnde Quellen, steht dazu rein gar nichts. Das ver- wundert, denn schließlich gibt es zum Thema eine Reihe aktueller Bücher. Zudem gibt es auch einige Ausbilder, die diese Kunst ausüben. Und nicht zuletzt hat die Arbeit am Langen Zügel an Stätten wie der Spanischen Hofreitschule in Wien, dem Cadre Noir in Saumur, der Fundación Real Escuela Andaluza Del Arte Ecuestre in Jerez und der Escola Portuguesa de Arte Equestre in Queluz Tradition. Warum also findet sich dazu nichts bei den klassischen Autoren? Eine Antwort liefert Prof. Dr. Ulrich Schnitzer, ein Schüler Egon von Neindorffs, in seinem Buch „Pferde versammeln vom Boden aus“ (2015): „In den großen historischen Lehrbü- chern von de la Gueriniére bis v. Weyrother, Seeger oder Steinbrecht sucht man vergeb- lich nach Hinweisen auf die Arbeit am langen Zügel. Weder in den ‚Urdirektiven‘ der K.- u.-K-Spanischen Reitschule aus dem frühen 18. Jahrhundert noch in den Direktiven von 1898 findet sie Erwähnung. Dennoch ist diese Arbeitsweise als Entwicklung der Hofreit- schule zu betrachten, und sie wurde bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts auch nur in dieser präsentiert. Seit den frühen 50er-Jahren war sie Bestandteil auch der Veranstal- tungen im Reitinstitut Egon von Neindorff. Noch in den Achtzigern stand Arbeit am lan- gen Zügel nicht auf den Programmen etwa der iberischen Schulen oder des Cadre Noir in Saumur.“ Insofern hat die Spanische Hofreitschule in Wien darin also offenbar nicht nur die drei anderen Schulen in Frankreich, Spanien und Portugal maßgeblich beeinflusst, die die Ar- beit am Langen Zügel in ihr Repertoire aufgenommen haben, sondern sie ist auch für den „Privatmann“ Egon von Neindorff eine prägende Station seiner reiterlichen Ausbil- dung gewesen, die er unter anderem bei Alois Podhajsky erhielt. Dass die Arbeit am Lan- gen Zügel heute hierzulande viele Anhänger hat, ist daher sicher vor allem auch Egon von Neindorff zu verdanken. Aus dessen Reitinstitut sind Ausbilder hervorgegangen, die die Arbeit am Langen Zügel auf höchstem Niveau praktizieren, dieses Wissen wiederum
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Andere Länder, andere Sitten: In Indien werden Pferde seit Jahrhunderten am Langen Zügel gearbeitet. „Wobei das ganz pragmatische Gründe hatte. War ein Palast belagert, mussten die Pferde vor dem Angriff in der Burg aufgewärmt werden und dazu wurde der Lange Zügel genutzt“, berichtet Fotografin Christiane Slawik. Heute hat sich daraus der „Pferdetanz“ entwickelt, bei dem alle Lektionen bis hin zur Piaffe gezeigt werden. Foto: www.slawik.com
an ihre Schüler weitergeben – und sich dem Thema teils auch in schriftlicher Form zu- gewandt haben, sodass es erstmals überhaupt einer breiteren reitenden Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. So enthält das Buch „Pferde schulen an der Hand“ von Richard Hinrichs, das bereits 1999 erschien und bis heute mehrere Auflagen erlebt hat, erstmals auch ein ausführliches Kapitel zur Arbeit am Langen Zügel. Seitdem haben wei- tere Publikationen dem immer weiter zunehmenden Interesse an diesem Thema Rech- nung getragen: „Am Langen Zügel“ (2011) von Saskia Gunzer und Nicole Künzel, „Die Arbeit am Langen Zügel“ (2014) von Dr. Thomas Ritter, „Pferde versammeln vom Boden aus“ (2015) von Prof. Dr. Ulrich Schnitzer und, gerade erst erschienen, „Arbeit am Langen Zügel für Einsteiger“ von Andrea Lipp (2021). Die klassische Arbeit am Langen Zügel nach Wiener Vorbild bezieht sich ausschließlich auf das bereits weit ausgebildete Pferd, denn anders als im Sattel stehen dem Menschen am Boden weder Gewichts- noch Schenkelhilfen zur Verfügung. Das Pferd muss sich also versammeln lassen (schon allein damit der Mensch am Boden mit ihm „Schritt halten“ kann) und wirklich fein reagieren, um alle Lektionen, die es unter dem Sattel beherrscht, auch am Langen Zügel auf gleich hohem Niveau zeigen zu können. An der Spanischen Hofreitschule werden die Pferde daher erst dann mit der Arbeit am Langen Zügel ver- traut gemacht, wenn ihre Ausbildung bereits abgeschlossen ist, sie also zumindest sämt- liche„Schulen auf der Erde“ beherrschen. Jedoch ist die „klassische“ Umsetzung mit einem vollständig ausgebildeten Pferd nur die eine Seite der Arbeit am Langen Zügel. So beschreibt Nuno Oliveira (1925–1989) in
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Literatur
„Ratschläge eines alten Reiters an junge Reiter“ die Möglichkeit, sie als Hilfe in der Aus- bildung junger Pferde zu nutzen und verdeutlicht gleichzeitig, was diese Art der Lang- zügelarbeit von der klassischen Arbeit am Langen Zügel unterscheidet: „Die Arbeit an den langen Zügeln kann eine kostbare Hilfe bei der Ausbildung des Pferdes sein (…). Ich spreche nicht von der Vorstellung eines fertigen Pferdes am langen Zügel. Dazu bildet man ein Pferd zunächst aus, und wenn es fertig ist, kann man die Bewegungen, die ihm schon bekannt sind, an den langen Zügeln ausführen lassen (…). In der Hohen Schu- le müssen diese Vorführungen mit Zügeln ausgeführt werden, die vom Pferdemaul in die Reiterhand gehen, ohne durch Ringe zu laufen; der Reiter muss ganz nahe am Pferd sein. Bei der Arbeit am langen Zügel, wie sie als Hilfe zur Ausbildung ins Auge gefasst wird, muss man Ringe benutzen und wissen, wo diese anzubringen sind, je nachdem wie hoch man das Pferd einstellen will.“ Insofern wird laut Oliveira bei der Arbeit mit jun- gen Pferden anders als bei der klassischen Arbeit am Langen Zügel ein Longiergurt mit Ringen verwendet, durch welche die Zügel von der Hand zum Maul laufen, wobei der Ausbilder sich weiter vom Pferd entfernt bewegt als bei der klassischen Arbeit am lan- gen Zügel. Bei Jungpferden ist das aus Sicherheitsgründen eine Notwendigkeit. Auf die- se Weise rahmen die Zügel das Pferd ein und geben ihm Führung. Bei jungen Pferden hält Oliveira die Langzügelarbeit deshalb dort für sinnvoll, wo es darum geht, das Pferd ohne Anlehnung der Bande gerade zu halten: „Für junge Pferde bewährt sich hervorra- gend die Arbeit am langen Zügel auf gerader Mittellinie und auf geometrischen Zirkeln ebenso wie das korrekte Anhalten.“ Verschiedene Ausbilder haben diese Art der Langzügelarbeit als Vorbereitung des jun- gen Pferdes auf die Arbeit unter dem Sattel und an der Doppellonge genutzt und ihr Vorgehen auch in Buchform festgehalten. So beschreibt Fritz Stahlecker (1925–2018) in „Das motivierte Dressurpferd“ (2000) die Führung des Pferdes in den „Handleinen“ (während des ersten Ausbildungsstadiums der „Hand-Sattel-Hand-Methode), wobei die Leinen allerdings statt durch Ringe direkt vom Kopf des Pferdes zur Hand laufen: „Der Reiter geht hinter dem Pferd und rahmt mit den Leinen die Hinterhand ein. Die äuße- re Leine treibt gegebenenfalls unter Mitwirkung der langen Gerte seitwärts und verhin- dert ein zu weites Hereinstellen der Schulter. Die innere Leine zeigt dem Pferd den Weg. Die Leinen sind vorzugsweise in den Kappzaum eingeschnallt.“ Auch er verweist darauf, dass der Ausbilder sich um seiner eigenen Sicherheit willen zunächst in einem weiteren Abstand hinter dem Pferd bewegen muss, solange das Pferd noch nicht völlig vertraut mit dieser Arbeit ist. Er betont, dass dem Pferd die notwendige Zeit gegeben werden muss, um dieses Vertrauen aufzubauen: „Der Ausbilder wird, sobald er das Vertrauen des Pferdes gewonnen hat, seinen Abstand von diesem immer wieder verringern. Dies bei entsprechend verkürzten Leinen. (…) Die Dauer der Vertrauensphase ist von Pferd zu Pferd unterschiedlich. Ein vertrautes Pferd schlägt nicht, wenn es nicht zur Gegenwehr gezwungen wird.“ Auch, um dem jungen Pferd die ersten Schritte in den Seitengängen nahezubringen, ist diese Art der Langzügelarbeit mit Longiergurt hilfreich. Der französische Ausbilder und Gründer der Ecole de Légèreté Philippe Karl (* 1947) nutzt sie bei der Arbeit mit der
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Doppellonge für die Gewöhnung des jungen Pferdes an die unterschiedlichen Seitengänge. In seinem Buch „Hohe Schule mit der Doppellonge“ (1990) be- schreibt er, warum er mit dem jungen Pferd das Kon- terschulterherein als den ersten Seitengang auf ge- rader Linie erarbeitet. So würde die Umzäunung den Vorwärtsdrang des Pferdes bremsen, was einerseits ein übermäßiges Gegenhalten mit der Hand unnö- tig machte und andererseits Biegung und Abstellung erleichtere. Am Beispiel des Konterschulterhereins auf der linken Hand beschreibt er das Vorgehen: „(…) Während der ersten Arbeitsstunden werden die Halsbiegung und die Abstellung der Hinterhand auf einen inneren Hufschlag nur von der rechten Leine verlangt. Die linke Leine und die Peitsche sind bereit, ein eventuelles Sichverkriechen durch Auffrischen des Tempos zu bekämpfen. In der nächsten Etappe geht der Ausbilder in der Achse des linken diagona- len Beinpaars, dicht an der rechten Hüfte des Pferdes. In dieser Position bestimmt er die Biegung mit der rechten Leine und drückt die Kruppe mit der linken Leine an der Hüfte des Pferdes nach innen. Gleichzei- tig reguliert die über den Rücken des Pferdes laufen- de, anstehende linke Leine die Halsbiegung.“ Ob in ihrer klassischen Formmit fertig ausgebildetem Pferd oder als Hilfsmittel bei der Ausbildung junger Pferde, die Arbeit am Langen Zügel ist anspruchs- voll. Vom Ausbilder verlangt sie nicht nur Kenntnisse der praktischen Umsetzung, sondern auch ein ho- hes Maß an Koordinationsfähigkeit, einen Blick für Körpersprache und Reaktion des Pferdes sowie eine differenzierte eigene Körpersprache. Doch wer be- reit ist, die Arbeit am Langen Zügel unter kundiger Anleitung zu lernen, für den wird sie nicht nur eine angenehme Abwechslung in der Arbeit mit seinem Pferd sein, sondern auch eine immer aufs Neue faszi- nierende Herausforderung. (Cora von Hindte-Mieske)
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Spanische Hofreitschule: „Die ultimative Dressur“ am Langen Zügel
Ob in der Spanischen Hofreitschule in Wien die Arbeit am Langen Zügel „erfunden“ worden ist? Oberbereiter Andreas Hausberger legt den Kopf etwas schief und lächelt: „Es exi- stieren keine schriftliche Aufzeichnungen über die Arbeit am Langen Zügel in der Hofreitschule. Insofern gibt es noch nicht einmal gesicherte Informationen darüber, seit wann wir hier am Langen Zügel arbeiten“. ->
Oberbereiter Andreas Hausberger bei der Arbeit am Langen Zügel. Foto: Spanische Hofreitschule/Rene van Bakel
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