BiB: Fein, feiner: Durchlässigkeit!

Blick in die Literatur

Schenkel leidet (…), kann man anfangen, es auf der Stelle zu versammeln und langsam hinten zu setzen. Nach einiger Zeit wird das Pferd sich in den Hanken biegen lernen, den Rücken loslassen und zum normalen Gebrauch seiner Glieder zurückkehren, (…). Dann wird der Rücken tätig und nicht starr bleiben. Es ist also die anzustrebende Durchlässig- keit, welche die Rückentätigkeit bedingt. Hierzu gehören das Genick, der Rücken und die Hanken des Pferdes.“ Dass die korrekte Hankenbeugung und damit die Versammlung nicht nur Ziel der Durch- lässigkeit, sondern gleichzeitig auch ihr Nachweis ist, erläutert Udo Bürger in „Vollen- dete Reitkunst“ (1959): „Eine schulgerechte Durchlässigkeit ist ohne Haltung, ohne An- lehnung, ohne Ganaschenbiegung, ohne freien Vortritt und ohne Hankenbiegung nicht möglich. Unter Durchlässigkeit von vorn nach hinten versteht man schulmäßig nicht mehr und nicht weniger, als daß die Parade durch den ganzen Pferdekörper hindurch beugend auf die Hanken, (…) wirkt.“ Der Kristallisationspunkt aller Schwierigkeiten, die Durchlässigkeit verhindern, ist für Bürger die Hinterhand, mit der das Pferd ein starkes Mittel zum Widerstand hat: „Ohne Zweifel ist die Erziehung zur Durchlässigkeit von vorn nach hinten die schwierigste Klip- pe während der Ausbildung. Geht man der Ursache dafür auf den Grund, dann muß man bei der Hinterhand anfangen. Der Beugegang ist anstrengend; bei fortgeschrittener Er- müdung hat das Pferd wohl Muskelschmerzen. Würde ihm in dieser Hinsicht zuviel zuge- mutet und bliebe es durchlässig, dann würden die Muskelschmerzen immer größer; das Pferd würde sich sozusagen mit jedem Schritt selber strafen, eben weil es durchlässig ist. Streckt es aber die Gelenke der Hinterhand und gibt damit die Durchlässigkeit auf, dann können diese Muskeln ausruhen. Durch Erfahrung lernt das Pferd, daß der Kampf gegen die Hand des Reiters bequemer und weniger anstrengend ist, als der geforderte Beugegang und gewöhnt sich an Haltungsfehler, die wir gemeinhin als Gebiß-, Gana- schen-, Hals-, Rücken- und Gangschwierigkeiten bezeichnen. Welche dieser Schwierig- keiten auch vorliegen mag, immer erreicht das Pferd dasselbe, nämlich: die Parade geht nicht bis zur Hinterhand durch, sondern sie bleibt stecken.“ Was Bürger damit zwischen den Zeilen ausdrückt, nämlich dass es letztlich in der Ver- antwortung des Reiters liegt, das Pferd nicht zu überbeanspruchen und damit erst zum Widerstand herauszufordern, bringt von Ziegner in deutlichen Worten auf den Punkt. So schreibt er: „Blockaden können im Maul, Kiefer oder Genick sowie in jedem Muskel oder Gelenk des Pferdekörpers auftreten. Ein gewaltsames Auflösen dieser Blockaden steht nicht im Einklang mit den Prinzipien guter Reiterei, die Folge wäre nur Schmerz, Angst und Widerstand (…).“ Besonderes Augenmerk legt von Ziegner daher auch auf den Reiter, der das, was er vom Pferd verlangt, auch selbst geben können muss: „Man kann ein Pferd nur dann als durchlässig bezeichnen, wenn die zwischen Hinterhand und Zügel bestehende Verbindung ‚funktioniert‘. Das Pferd muss dazu an den Hilfen stehen (…) und bei steter Anlehnung auf Gewichts- und Schenkelhilfen unverzüglich reagieren; (…). Dies zu erreichen beruht auf der Fähigkeit des Reiters; nur wenn er selbst ‚durch-

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