2024_03_Blick
Einblick in das "Wissenheft Gewichtsmanagement: Mission Moppel!"
03/24 | Ausgabe 75 September 2024 bis Dezember 2024 9,90 EUR (D)
Campus
Wissensheft Gewichtsmanagement Mission Moppel
DAS AUGE SCHULEN
SERIE
MIT WISSEN UND FREUDE AUSBILDEN!
Jahrgang XX | ISSN 1860-3963 | ISBN 9783-910812-062 dressur-studien.de | fair-zum-pferd.de
Angesichts des Heftthemas verweigern Frau und Pferd die Ganzkörper-Aufnahme: Claudia und Orgu. Foto: Tom Sanders
Liebe Leserinnen und Leser, die Olympischen Spiele sind vorbei, die Diskussionen rund um das Pferdewohl gehen jedoch weiter. FN-Generalsekretär Sönke Lauterbach teilte mit, es solle nun darüber nachgedacht werden, warum zufrieden aussehende Pferde eine blaue Zunge zeigen. Würde ich meinen Kopf so häufig schütteln, wie es bei die ser Aussage eigentlich nötig wäre, hätte ich wohl eine Gehirnerschütterung. Vor den Spielen sorgte das Video von Charlotte Dujardins Prügelattacke für Entset zen. Das haben wir zum Anlass für eine Petition genommen, damit verbands intern härtere Strafe für solchen Pferdemissbrauch erfolgen. Mehr dazu finden Sie auf Seite 125. Tatsächlich ist auch unsere „Mission Moppel“ in diesem Heft ein Tierschutz thema: Übergewicht verkürzt das Leben unserer Pferde. In dieser Ausgabe be schreiben wir, welche Krankheiten und Probleme damit verbunden sind. Doch vor allen Dingen geben wir Ihnen das nötige Rüstzeug an die Hand, um den Ab nehm-Marathon motiviert anzugehen. Zu meinem Leidwesen muss ich geste hen: Mr.P. und ich sind auch dabei. Also, auf zur„Mission Moppel“!
Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht Ihnen Ihre Claudia Sanders
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Wissensheft Gewichtsmanagement: Mission Moppel!
Editorial (Claudia Sanders)
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Wissen was ist: Vom Wiegen, Rechnen und dem Idealgewicht (Katrin Obst) Übergewicht ermitteln mit dem Body Condition Score und dem Cresty Neck Score (Dr. Stephanie Schramme) Das Auge schulen: Den BCS einschätzen (Dr. Johanna Probst) Hochkomplex und faszinierend: Der Stoffwechsel (Dr. Svenja Thiede, Dr. Theresa Maria Conze) Das Equine Metabolische Syndrom (Nina Weltrich) Equines Cushing alias PPID (Karolina Drozdzewska) 44 Wenn es ganz dicke kommt: Die endokrine Hufrehe (Team-HUF) 50 Häufige Kombination: Dick und trageerschöpft (Karin Kattwinkel) 55 Der schleichende Tod: Vom metabolischen Fett und anderen Krankheiten (Conny Röhm) 60 Gesunde Gewichtsabnahme:„Nicht zu schnell, aber stetig“ (Laura Köhl) 66 Futtermenge: Die Rationsplanung für Moppel (Dr. Dana Schubert) 69 Halm für Halm: Vor- und Nachteile von Slowfeedern (Annette Wagener-Kettler) 82 Weidegras: Auf die Länge kommt es an (Prof. Dr. Johannes Isselstein)75 Dagegen ist (k)ein Kraut gewachsen: Pferde schlank füttern (Felicitas Ahrens, Prof. Dr. Annette Zeyner) 78 Optimierte Haltung: So macht der Auslauf fit (Annette Wagener-Kettler, Team-HUF) 82 32 38 8 10 14 27 Die Grade der Adipositas (Conny Röhm)
Von der nötigen Rationsberechnung und dem neuen besten Freund namens„Pulsmesser“ (Conny Röhm)
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Achtung, fertig, los: Die„Mission Moppel“ beginnt! (Conny Röhm, Katrin Obst, Maximilian Welter) Die Checkliste
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Der Fitnesstest Moppelphase 1 Moppelphase 2 Moppelphase 3 Moppelphase 4
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Die Moppelmotivation und die Zukunft
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Neues aus der Wissenschaft: Adipöse Pferde, eindeutige Wissenschaft Dr. Diana Krischke
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Serie: Das Auge schulen (Karin Link und Jan Nivelle)
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Lieblingsbücher:„Wohlstandskrankheiten unserer Pferde“ (Cora von Hindte-Mieske)
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Fair zum Pferd-Campus-Programm
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Höhere verbandsinterne Strafen für Pferdemissbrauch: Unterstützen Sie unsere Petition! (Claudia Sanders)
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Glosse Mr.P. & Me: Der Relativierer spiegelt
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Impressum
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Vorschau Heft 4/2024
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Foto Titelbild und Inhaltsverzeichnis: www.slawik.com Redaktionsanschrift: Birkenweg 10, 57629 Mörsbach, Tel.: 02688/988 65 38 Die Namen in Klammern bezeichnen die Autoren oder Interviewpartner des jeweiligen Artikels.
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„Weniger ist mehr!“ Verfasser unbekannt, Weisheit aus der Pferdefütterung.
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Foto: www.slawik.com
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Wissen was ist Wissen was ist: Vom Wiegen, Rechnen und dem Idealgewicht
Ist der Vierbeiner zu dick oder doch nur kräftig? Wer das genau wissen will, braucht Daten, Zahlen und Fakten.
Der einfachste und zuverlässigste Weg, um das Gewicht des Pferdes zu bestimmen, ist eine Pferdewaage. Mittlerweile gibt es bundesweit Anbieter, die zum Stall kommen und unbestechlich notieren, was Ihr Pferd auf die Waage bringt. Da hier schon einige Kunden pro Stall zusammenkommen sollten, ist das vielleicht ein schöner Anlass, das Pferdewie gen zum„Event“ zu machen: Wenn viele dabei sind, ist die Motivation, die Pferde – wenn nötig – gemeinsam abspecken zu lassen, vielleicht auch größer. Daneben gibt es sogenannte Bandformeln, also die Möglichkeit, mit Maßband und Blei stift selbst eine Schätzung vorzunehmen. Schätzung deshalb, weil sie nicht so genau sein kann wie eine Waage und die meisten Formeln für Warmblüter erstellt worden sind. Doch selbst wer ein Shetty damit schätzt, hat immerhin einen Wert, der sich in Zukunft mit weiteren genommen Werten vergleichen lässt. An dieser Formel orientieren sich auch die handelsüblichen Maßbänder. Etwas ausführlicher ist die nachfolgende Formel, die auf Studien der Wissenschaftler Kienzle und Schramme (2004) zurückgeht und sich besonders an Warmblutpferden ori entiert: -1160 + (2,549 x Stockmaß) + (1,336 x Umfang Gurtlage) + (1,538 x Körperumfang) + (6,226 x Röhrbeinumfang) + (1,487 x Halsumfang) + (13,63 x BCS) Das „Idealgewicht“ Das ideale Gewicht eines Pferdes kann selbst innerhalb einer Rasse zwischen 25 und 85 Kilogramm variieren. Pferdewissenschaftlerin Conny Röhm hat auf der Grundlage von fast 23.000 Pferde-Gewichtsmessungen eine aussagekräftige Tabelle für 15 verschiede nen Rassen erstellt, welche sie in ihrem Buch„Purzel speckt ab 2.0.“ veröffentlicht hat. So liegt das durchschnittliche Gewicht eines Isländers bei einem Stockmaß von 125-135 Zentimetern bei etwa 350 Kilogramm. Bei einem Stockmaß von 136-141 Zentimetern liegt es bei 380 Kilogramm, bei einem Stockmaß von 142-150 Zentimetern bei 400 Ki logramm. Dabei sind Abweichungen von plus minus 20 Kilogramm noch in der Norm. Diese Formel lautet: Brustumfang² (cm) x Körperlänge (cm) 1187
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Iberische Rassen, bei denen ein Stockmaß von 150-159 Zentimetern vorliegt, bringen im Schnitt 465 Kilogramm auf die Waage, bei einem Stockmaß von 160-169 Zentimetern sind es 510 Kilogramm. Abweichungen bis zu 35 Kilogramm sind hier möglich. Deutlich mehr dürfen Kaltblutrassen wiegen: Bei einer Größe von 146-159 Zentimetern liegt das Gewicht bei 615 Kilogramm (plus minus 45 Kilogramm), bei 160-163 Zentime tern steigt es auf 770 (plus minus 85 Kilogramm) und bei einem Stockmaß von 170-178 Zentimetern sind es sogar 850 Kilogramm (Abweichungen von 20 Kilogramm möglich). Warmblutpferde bringen bei einem Stockmaß von 150-159 Zentimetern 520 Kilo gramm auf die Waage. Bei 160-169 Zentimetern sind es 570 Kilogramm, bei einem Stock maß von 170-179 Zentimeter sind es 625 Kilogramm. Für alle Angaben gelten plus mi nus 35 Kilogramm. Misst das Warmblut 180-186 Zentimeter, dann sind es 665 Kilogramm auf der Waage, wobei hier eine Abweichung von plus minus 40 Kilogramm noch inner halb der Norm ist. Deutlich leichter sind hingegen Vollblutrassen: Bei einem Stockmaß von 150-155 Zen timetern wiegen sie im Schnitt 490 Kilogramm (plus minus 25 Kilogramm), bei 155-160 Zentimetern sind es 510 Kilogramm (plus minus 20 Kilogramm), bei 160-165 Zentime tern sind es 525 Kilogramm (plus minus 20 Kilogramm und bei einem Stockmaß von 165-170 Zentimetern sind es 530 Kilogramm (plus minus 15 Kilogramm). (cls) Praktischer Tipp von Pferde-Physiotherapeutin Katrin Obst „Wenn Sie überprüfen möchten, wo bei Ihrem Pferd überall Fett ist, greifen Sie zu Ih rem Handy und machen eine Slow Motion-Videoaufnahme davon, wie Ihr Pferd an der langen Seite entlangtrabt. Ihr Pferd sollte dabei nicht verspannt sein. Alles, was in der Wiedergabe schwabbelt, ist Fett. Muskeln spannen sich in der Bewegung an und ab, Fett nicht.“
Lesetipps: Conny Röhm:„Purzel speckt ab 2.0“, Eigenverlag, 2024 Ellen Kienzle, Christina Pankratz, Annette Zeyner:„Kompendium zur Rationsberechnung für Pferde“, Eigenverlag, 2023
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BCS Übergewicht ermitteln mit dem Body Condition Score und dem Cresty Neck Score Ohne Sachkenntnis fällt das Beurteilen des Ernährungszustandes des eigenen Vierbeiners nicht nur sehr schwer, sondern immer auch subjektiv aus. Der Body Condition Score und der Cresty Neck Score dienen als„Werkzeuge“, um das vorhan dene Depotfett nach standardisierten Regeln zu bewerten. Im Laufe der Jahre wurden unterschiedliche Methoden zur Beurteilung des Ernährungs zustandes entwickelt. Das erste neunstufige Bewertungssystem wurde bereits im Jahr 1919 von dem Engländer J.A. Murray entwickelt. Auch beim aktuellen Body Condition Score (BCS) werden neun Stufen zur Bewertung herangezogen. Verbreitet war außerdem die Methode des Amerikaners D.R. Henneke aus dem Jahr 1983, zu deren Entwicklung Quarter Horse-Stuten vermessen wurden. Für ihre Disser tation übertrug Tierärztin Dr. Stephanie Schramme den Body Condition Score vor gut 20 Jahren auf Warmblutpferde. Anders als beim ursprünglichen System differenzierte sie zwischen Unterhautfettgewebe und Muskulatur. Um die Kriterien festzulegen, bestimm te Stephanie Schramme die Dicke des Unterhautfettgewebes durch Ultraschallmessun gen und andere Methoden. Die Messungen wurden an lebenden und euthanasierten Pferden durchgeführt. Am Ende wählte die Tierärztin sechs Bereiche, die sich zur Beur teilung des Body Condition Score als geeignet erwiesen: „Hals, Schulter, Rücken, Brust wand, Hüfte und Schweifansatz.“ Der Zustand der einzelnen Körperregionen wird mit Punkten von eins bis neun bewertet. Der Body Condition Score errechnet sich aus dem Durchschnitt der einzelnen Ergebnisse. Das Fett im Bauchraum wird nicht zur Bestimmung des BCS herangezogen, da es nur schwer fühlbar und optisch nicht er kennbar ist. „Die Schwierigkeit vorheriger Bewertungssysteme lag in der Übertragung auf ande re Pferderassen. Bei verschiedenen Bemuskelungstypen setzt auch das Fett an unter schiedlichen Regionen an“, sagt Stephanie Schramme und verdeutlicht dies an einem Beispiel: „Übergewichtige spanische Pferde verfügen meistens über Fettansammlungen am Kamm und in der seitlichen Brustregion. Dafür haben sie eigentlich fast nie Fettan sammlungen am Schweifansatz, wie zum Beispiel Kaltblüter. Bewerte ich alle Regionen, erhalte ich im Durchschnitt fast immer einen passenden BCS.“ Der ideale BCS Spring-, Vielseitigkeits-, Jagd- und Distanzpferde sollten nach Einschätzung von Ste phanie Schramme einen BCS von 5 bis 5,5 aufweisen. „Hier ist die Muskulatur gut aus geprägt, während sich die Gewichtsbelastung in Grenzen hält. Dieser Wert wäre auch für Freizeitpferde, die regelmäßig lang ausgeritten werden, ideal. Dressur- und Working
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So wird das Kammfett gemessen. Foto: Team-HUF.
Equitation-Pferde benötigen mehr Kraft und sind mit einem BCS von 5 bis 6 gut aufge stellt.“ Trainierte Pferde verfügen, so die Tierärztin, bei einem BCS von 5 oder 6 über eine gut ausgebildete Muskulatur: „Bei BCS 7 oder höher findet kein weiterer Muskelaufbau, sondern nur noch Fetteinlagerung statt.“ Die Punktevergabe: Region Hals Hält das Pferd den Kopf gesenkt, lässt sich der Übergang zwischen Kammfett und Mus kulatur deutlich ertasten oder bei übergewichtigen Pferden auch erkennen. Das Kamm fett liegt immer oberhalb des Nackenstrangs und die Muskulatur unterhalb und seitlich. Zur Score-Vergabe wird das Kammfett bei gesenktem Kopf an der höchsten Stelle ge messen. Da die Muskeln nicht in die Bewertung einfließen, macht es keinen Unterschied, ob ein Hengst mit ausgeprägter Halsmuskulatur oder eine Stute mit weniger Muskeln beurteilt wird. Ergänzend kann die Ausprägung des Kammfetts mit dem Cresty Neck Score (CNS) beur teilt werden. Diese Methode wurde von der Amerikanerin R. A. Carter im Jahr 2009 ent wickelt. Zur Beurteilung nutzt sie eine Scala von null bis fünf. Region Schulter Auf halber Höhe des Brustkorbs, etwa dort, wo die siebte und achte Rippe liegt, lässt sich bei Pferden bei einem Score von fünf und sechs ein Fettdepot von etwa einem Zentime
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Punktevergabe je nach Kammfetthöhe am Hals: 4-5,5 cm = 5 Scores 5,5-7 cm = 6 Scores 7-8,5 cm = 7 Scores 8,5-10 cm = 8 Scores > 10 cm = 9 Scores
ter Dicke tasten und leicht verschieben. Gleichzeit kann dort mit zwei Fingern eine kurze Hautfalte abgezogen werden. Sieben Punkte werden vergeben, wenn das Fettgewebe in Fläche und Dicke etwas zunimmt. Das Abziehen einer Hautfalte wird nun spannungsfrei und immer höher möglich. Für ein Fettdepot, das vom Widerrist bis zur Brust reicht, wer den die vollen 9 Scores vergeben. Region Rücken Der Fettansatz am Rücken beginnt am Widerrist und verläuft als Streifen 20 bis 30 Zen timeter neben der Wirbelsäule. „Hier ist die Beurteilung schwieriger, weil die Haut dick und straff ist“, sagt Stephanie Schramme. Fünf Scores werden vergeben, wenn die Haut etwas verschiebbar und die 14. bis 18. Rippe mit leichtem Druck fühlbar ist. Das Gewe be fühlt sich fest an und ist etwas beweglich. Von hinten gesehen wirkt die Kruppe rund oder herzförmig. Für die Vergabe von sechs Punkten wird schon ein stärkerer Druck be nötigt, um die Rippen zu ertasten, während sieben Scores gezählt werden, wenn weiche Fettpolster fühlbar sind. Außerdem ist es hier möglich, eine flache Hautfalte zu nehmen. Schwabbeliges Gewebe, das vom Widerrist über die Sattellage bis zur Hüfte reicht, erhält neun Scores. Nach den Untersuchungen von Stephanie Schramme muss eine gespalte ne Kruppe kein Anzeichen von Übergewicht sein: „Dieses Merkmal kann auch rassety pisch oder durch gute Muskulatur entstehen. Daher ziehe ich es nicht zur Bewertung heran.“ Region Brustwand An der Brustwand werden die Konsistenz und die Dicke des Gewebes über den Rippen getastet und beurteilt. Am einfachsten ist es, so Stephanie Schramme, direkt hinter dem Sattelblatt zu tasten: „Fühlt sich das Gewebe dort fest an und sind die Rippen tastbar, aber kaum sichtbar, werden fünf oder sechs Punkte vergeben.“ Wird der Hals des Pferdes weit zur Seite gebogen, sollten auf der gegenüberliegenden Seite die Rippen deutlich sichtbar sein. Auch dann erhält diese Region fünf Punkte, beziehungsweise sechs Punk te, wenn sie nicht sichtbar, aber fühlbar sind. Sieben Scores werden vergeben, wenn die Rippen nur schwer fühlbar sind. Das Gewebe ist weich und die Fingerkuppen sinken bei einem Drucktest etwas ins Gewebe ein. Mit viel Spannung lassen sich niedrige Falten bil den. Sinken die Fingerkuppen deutlich ins Gewebe ein, gibt es acht Score. Die höchste Punktzahl wird vergeben, wenn weiches, schwabbeliges Gewebe sich von der Schulter
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