BiB: Fein, feiner: Durchlässigkeit!

Blick ins Heft 01/2022

01/22 März 2022 bis Juni 2022

9,40 EUR (D) 10,30 EUR (A) 17,80 SFR (CH) 10,40 EUR (BeNeLux) 12,10 EUR (ES, I)

Fein, feiner: Durchlässigkeit!

Jahrgang XVIII | ISSN 1860-3963 ISBN 9783-981879438

Das Magazin zur Aus- und Weiterbildung von Reiter und Pferd www.dressur-studien.de | www.fair-zum-pferd.de 1

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Liebe Leserinnen und Leser,

die schlechte Nachricht zuerst: Wir müssen den Preis für un- sere Einzelhefte um 50 Cent anheben. Statt 8,90 Euro kostet das Einzelheft deshalb jetzt 9,40 Euro. Nachdem wir den Preis für unser Heft seit zehn Jahren nicht angehoben haben, zwin- gen uns nun die um 30 Prozent gestiegen Druckkosten zum Handeln. Die beruhen ihrerseits auf schlicht explodierenden Papierpreisen: Branchenverbände sprechen von einer Preis- steigerung um bis zu 227 Prozent. Die gute Nachricht: Unsere Abopreise bleiben stabil. Wenn Sie sich für ein Abo entscheiden, profitieren Sie also gleich mehr- fach: Sie sparen Geld und haben unser Heft immer druck- frisch im Briefkasten. Ein Printabo gibt es ab 30 Euro pro Jahr. Durchweg erfreulich und inspirierend ist jedenfalls unser ak- tuelles Heft zumThema Durchlässigkeit: Wer träumt nicht von einem Pferd, das auf feinste Hilfen willig reagiert? Durchläs- sigkeit gibt es auf jeder Ausbildungsstufe und wir möchten Sie motivieren, noch feiner in den Hilfen zu werden. Durch- lässigkeit ist nicht nur ein großes, fernes Ziel, sondern auch der Weg. Probieren Sie doch einmal unsere Praxisübungen aus – hier ist für jeden etwas dabei: So können Sie testen, wie fein Ihr Pferd tatsächlich ist.

Editorial

Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht Ihnen Ihre Claudia Sanders

Orgulloso und Claudia Sanders. Foto: www.slawik.com

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Fein, feiner: Durchlässigkeit!

Editorial (Claudia Sanders)

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Durchlässigkeit: Die Essenz allen Reitens. Der Blick in die Literatur (Cora von Hindte-Mieske) 8 Die Durchlässigkeit – eine klassische Definition (Thies Kaspareit) 12 Kirsten Jung: „Halbe Paraden flexibel anwenden“ 14 Vom Maul bis zum Hinterbein: Durchlässigkeit hat ihre Grenzen (Michaela Wieland-Findeis, Dr. Leonie Jungermann) 20 Die mentale Durchlässigkeit des Pferdes (Uta Gräf, Dr. Viviane Theby) 26 Die Durchlässigkeit des Reiters und deren Einfluss auf das Pferd (Antje Heimsoeth) 32 Standpunkt: Drum prüfe, wer sich ewig bindet: Hallo„Lieblingspferd“ (Nico Welp) 38

Inhalt

Praxisteil mit Übungsreihen

Jan Nivelle: „Höchste Stufe der Durchlässigkeit beruht auf Intellekt“ • Übergänge • Vierecke reiten • Schenkelweichen zu beiden Seiten 44

Bianca Rieskamp: „Durchlässigkeit steigert die Freude am Reiten“ • Mit einhändiger Zügelführung Übergänge und Rückwärtsrichten • Slalom im Schulterherein 52

Christoph Hess: Die Durchlässigkeit hat den höchsten Stellenwert • Übergänge • Akzeptanz seitwärtstreibender Schenkel erhöhen 60

Knut Krüger: Die Durchlässigkeit beim Springtraining • Grundtempo mit Stangen variieren • Durchparieren im Parcours 66

Ann Katrin Querbach: Die Durchlässigkeit des Westernpferdes • Bestandsaufnahme Tagesform • Tanz um die Pylonen

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Kaja Stührenberg: „Harmonie im Tölt braucht Durchlässigkeit“ • Biegungsvariationen im Tölt • Gangarten- und Tempowechsel

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Julia Thut: Die Bedeutung der Durchlässigkeit in der Working Equitation • Variationen der zwei Tonnen • Galoppwechsel 90

Bea Borelle: Ausbildung mit Leichtigkeit

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• Schulterherein • Übergänge

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Durchlässige Power – mit einem PS durch den Wald

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(Elmar Stertenbrink)

Neues aus der Wissenschaft: Wie lesen Pferde Menschen? (Dr. Diana Krischke)

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Allerlei

Serie: Das Auge schulen (Karin Link und Jan Nivelle)

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Fair zum Pferd-Campus-Programm

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Alles was Recht ist: Was die Schuldrechtsreform den Pferdeleuten bringt (Nils Michael Becker)

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Glosse Mr.P. & Me: Der Souverän!

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Impressum

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Vorschau Heft 2/2022

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Foto Titelbild und Inhaltsverzeichnis: www.slawik.com Redaktionsanschrift: Birkenweg 10, 57629 Mörsbach, Tel.: 02688/988 65 38 Die Namen in Klammern bezeichnen die Autoren oder Interviewpartner des jeweiligen Artikels.

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„Der Anblick des Pferdes wird desto angenehmer, je genauer sich die Kunst mit der Natur vereinigt hat. Nur in beständiger Schonung seiner tierischen Kräfte wird es durch die Kunst verschönert.“ Louis-Charles Mercier Du Paty De Clam in „Theorie und Praktik der höheren Reitkunst“, 1777

Foto: www.slawik.com

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Blick in die Literatur

Durchlässigkeit: Die Essenz allen Reitens

Die absolute Durchlässigkeit des vollendet ausgebildeten Pferdes ist das Ergebnis des harmonischen Zusammenspiels der verschiedenen Schritte seiner Ausbildung. Sie ist sozusagen der „Kitt“, der die einzelnen Ausbildungsschritte miteinander verbindet, da sie mit ihnen in Wechselwirkung steht. Fehlt nur ein Element, kann Durchlässigkeit nicht erreicht werden – und umgekehrt. Deshalb fehlen Anmer- kungen zu diesem vielschichtigen und komplexen Thema in keiner Reitlehre. „Durchlässigkeit ist die Fähigkeit und Bereitschaft des Pferdes, auf vortreibende, ver- haltende und seitwärtstreibende Hilfen einzugehen, sie von rückwärts nach vorn und umgekehrt sowie in seitlicher Richtung durchzulassen. Sie gipfelt im Aufgeben jeden, auch des kleinstenWiderstandes gegen die Einwirkung des Reiters“, definiert Waldemar Seunig (1887–1976) Durchlässigkeit in„Von der Koppel bis zur Kapriole“ (1943). Als ihre Grundvoraussetzungen nennt er die Losgelassenheit und den Schwung: „Ebenso wie die Losgelassenheit fast unmerklich aus ihrer Vorstufe und Vorbedingung, der Zwanglosig- keit, entsteht, geht aus ihr wieder mit Hilfe des Schwunges und der das Geraderichten bezweckenden seitlichen Biegearbeit die Durchlässigkeit hervor. Sie kann ohne den von der Hinterhand ausgehenden und bis zu den Kaumuskeln vorflutenden Schwung nicht erzielt werden.“ Der von Seunig erwähnten „seitlichen Biegearbeit“ kommt dabei doppelte Bedeutung zu: einerseits schafft sie, indem sie das Geraderichten fördert, überhaupt erst die Voraus- setzung dafür, dass der Schwung ungehindert – gerade – durch den Körper des Pferdes hindurchgehen kann, was eine Bedingung für das Erreichen von Durchlässigkeit ist. An- dererseits ist sie ein unfehlbares Mittel, um festzustellen, ob ein Pferd tatsächlich durch- lässig ist: „Eine sehr sichere Kontrollmöglichkeit der Durchlässigkeit eines Pferdes ist die Beibehaltung von Biegung und Stellung in Seitengängen. Jede Schwierigkeit im Genick und jede unbeseitigte Steifheit auf einer Seite wird sich sofort in einer falschen Biegung, Stellung oder im Verwerfen im Genick oder Hals zeigen“, schreibt Brigadier Kurt Alb- recht (1920–2005) in„Reiterwissen“ (1996). Warum aber ist Schwung eine unabdingbare Voraussetzung für Durchlässigkeit? Oder andersherum gefragt, warum ist Durchlässigkeit ihrerseits eine Voraussetzung für Schwung? Tatsächlich steht beides miteinander in Wechselwirkung, wobei – zumindest in der Reiterei deutscher Prägung – die halbe Parade das verbindende Element ist. Die Wirkung des einen auf das jeweils andere stellt Kurd Albrecht von Ziegner (1918– 2016) in „Elemente der Ausbildung“ (2001) als einen Kreislauf dar: „Der Reiter ist es, der das Pferd ausbalancieren und gegebenenfalls die notwendige Energie mobilisieren muss. Fängt er diese Energie mit den Zügeln auf, kann er sie wieder zurück zur Hinter- hand fließen lassen, wodurch sich der Kreis schließt. Dieser Vorgang entspricht im Kern eigentlich schon der halben Parade, (…). Sobald das Pferd ohne zu zögern – und ohne Widerstand – auf die halbe Parade reagiert, wird die Hinterhand zum vermehrten Un-

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tertreten aktiviert. Dieses vermehrte Untertreten ist der erste Schritt zur Schwungent- faltung.“ Noch genauer beschreibt es Seunig: „Ist das Pferd durchlässig, so geht es auch vorwärts, denn es lässt die treibende Hilfe durch, welches sich im Annehmen des Gebisses äußert, an welches es herantritt und sich daran abstößt.“ Dieses Vorwärtsgehen hat indes „mit einem ungeordneten Fortstürmen oder der Bewegungsgeschwindigkeit überhaupt nichts zu tun“, so Seunig weiter, „wohl aber alles mit der durch die gymnastische Durch- bildung geförderten Eigenschaft, sich durchlässig treiben zu lassen, d.h. Gangart oder Tempo in dem von Sitz und regulierender Hand bestimmten Maße genau einzuhalten, ohne sich zu verkriechen oder zu eilen.“ Ähnlich drückt es auch Oskar M. Stensbeck (1858–1939) in „Reiten“ (1935) aus. Das „Sich-treiben-Lassen“ steht bei ihm als Voraussetzung für Losgelassenheit ganz am An- fang der Ausbildung: „Das Pferd muss die Hilfen annehmen lernen, bis es losgelassen vorwärts geht, (…). Solange es den Unterschenkel fürchtet und vor ihm wegzulaufen beginnt, wird es den Rücken spannen; erst dann wird es ihn loslassen und schwingen, wenn es vertraut mit den Schenkeln ist, (…) sich vorwärts schwingt und den Reiter im Sattel sitzen lässt.“ Damit verdeutlicht Stensbeck im Detail, warum es ohne Losgelassen- heit keinen Schwung und damit keine Durchlässigkeit geben kann, denn ein nicht losge- lassener Rücken kann eben nicht schwingen! Der Schwung muss zwangsläufig stecken bleiben, das Pferd ist also nicht durchlässig. Auch Durchlässigkeit und Versammlung bedingen einander, wobei beides sowohl Ziel als auch Zweck ist. So fährt Stensbeck fort: „Wenn das Pferd dann auch im Stehen die

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Blick in die Literatur

Schenkel leidet (…), kann man anfangen, es auf der Stelle zu versammeln und langsam hinten zu setzen. Nach einiger Zeit wird das Pferd sich in den Hanken biegen lernen, den Rücken loslassen und zum normalen Gebrauch seiner Glieder zurückkehren, (…). Dann wird der Rücken tätig und nicht starr bleiben. Es ist also die anzustrebende Durchlässig- keit, welche die Rückentätigkeit bedingt. Hierzu gehören das Genick, der Rücken und die Hanken des Pferdes.“ Dass die korrekte Hankenbeugung und damit die Versammlung nicht nur Ziel der Durch- lässigkeit, sondern gleichzeitig auch ihr Nachweis ist, erläutert Udo Bürger in „Vollen- dete Reitkunst“ (1959): „Eine schulgerechte Durchlässigkeit ist ohne Haltung, ohne An- lehnung, ohne Ganaschenbiegung, ohne freien Vortritt und ohne Hankenbiegung nicht möglich. Unter Durchlässigkeit von vorn nach hinten versteht man schulmäßig nicht mehr und nicht weniger, als daß die Parade durch den ganzen Pferdekörper hindurch beugend auf die Hanken, (…) wirkt.“ Der Kristallisationspunkt aller Schwierigkeiten, die Durchlässigkeit verhindern, ist für Bürger die Hinterhand, mit der das Pferd ein starkes Mittel zum Widerstand hat: „Ohne Zweifel ist die Erziehung zur Durchlässigkeit von vorn nach hinten die schwierigste Klip- pe während der Ausbildung. Geht man der Ursache dafür auf den Grund, dann muß man bei der Hinterhand anfangen. Der Beugegang ist anstrengend; bei fortgeschrittener Er- müdung hat das Pferd wohl Muskelschmerzen. Würde ihm in dieser Hinsicht zuviel zuge- mutet und bliebe es durchlässig, dann würden die Muskelschmerzen immer größer; das Pferd würde sich sozusagen mit jedem Schritt selber strafen, eben weil es durchlässig ist. Streckt es aber die Gelenke der Hinterhand und gibt damit die Durchlässigkeit auf, dann können diese Muskeln ausruhen. Durch Erfahrung lernt das Pferd, daß der Kampf gegen die Hand des Reiters bequemer und weniger anstrengend ist, als der geforderte Beugegang und gewöhnt sich an Haltungsfehler, die wir gemeinhin als Gebiß-, Gana- schen-, Hals-, Rücken- und Gangschwierigkeiten bezeichnen. Welche dieser Schwierig- keiten auch vorliegen mag, immer erreicht das Pferd dasselbe, nämlich: die Parade geht nicht bis zur Hinterhand durch, sondern sie bleibt stecken.“ Was Bürger damit zwischen den Zeilen ausdrückt, nämlich dass es letztlich in der Ver- antwortung des Reiters liegt, das Pferd nicht zu überbeanspruchen und damit erst zum Widerstand herauszufordern, bringt von Ziegner in deutlichen Worten auf den Punkt. So schreibt er: „Blockaden können im Maul, Kiefer oder Genick sowie in jedem Muskel oder Gelenk des Pferdekörpers auftreten. Ein gewaltsames Auflösen dieser Blockaden steht nicht im Einklang mit den Prinzipien guter Reiterei, die Folge wäre nur Schmerz, Angst und Widerstand (…).“ Besonderes Augenmerk legt von Ziegner daher auch auf den Reiter, der das, was er vom Pferd verlangt, auch selbst geben können muss: „Man kann ein Pferd nur dann als durchlässig bezeichnen, wenn die zwischen Hinterhand und Zügel bestehende Verbindung ‚funktioniert‘. Das Pferd muss dazu an den Hilfen stehen (…) und bei steter Anlehnung auf Gewichts- und Schenkelhilfen unverzüglich reagieren; (…). Dies zu erreichen beruht auf der Fähigkeit des Reiters; nur wenn er selbst ‚durch-

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Blick in die Literatur

lässig‘ ist und die Verbindung vom Kreuz über den Schenkel zum Pferdemaul hergestellt hat, kann die Durchlässigkeit auf das Pferd übergehen.“ Aus dem Gesagten wird deutlich, dass Durchlässigkeit einerseits von vielen verschie- denen Faktoren abhängt und andererseits Bedingung für deren Erfüllung ist – also eine universelle Forderung, deren Vorhandensein oder Abwesenheit über Erfolg oder Miss- erfolg der gesamten Ausbildung des Pferdes entscheidet. In den „Richtlinien für Reiten und Fahren“, Band 1 (2021) wird darauf noch einmal explizit hingewiesen: „(Das Pferd) geht also taktmäßig, losgelassen, in sicherer Anlehnung, schwungvoll, geradegerichtet und in entsprechendem Gleichgewicht im Rahmen der gestellten Anforderungen. (…) ImVerlauf der Ausbildung fügen sich alle Punkte immer mehr zusammen, greifen immer mehr ineinander und führen zu einem vollkommen durchlässigen Pferd. “ Das wohl Wichtigste dabei: Durchlässigkeit lässt sich nicht erzwingen. Ohne die „Fähig- keit und Bereitschaft“ (Seunig) des Pferdes zur Mitarbeit und seine Freude daran ist alles reiterliche Tun sinnlos, kann das Pferd niemals durchlässig sein. Umgekehrt fühlt nur das durchlässige Pferd sich bei seiner Arbeit auch wohl: „Werden der Rücken tätig und die Hanke geschmeidig, zeigt das Pferd es an durch schönes Tragen seines Schweifes und Kopfes. Man sieht dann ganz deutlich, dass das Pferd sich nun wohl befindet und sich in vornehmer selbstbewußter Art fortbewegt“, schreibt Stensbeck dazu. „Auch der Aus- druck des Pferdegesichtes wird dem Rechnung tragen, indem alles Zwanghafte und Ge- quälte aus ihm verschwindet und nur noch ein freudiges Bereitsein zur Arbeit darin zu lesen ist.“ Durchlässigkeit ist daher die Essenz allen Reitens. Nur durch sie kann jene Harmonie ent- stehen, die auch der Laie sofort erkennt, und die Reiter und Pferd zu einer Einheit aus zwei Körpern und einemWillen formt. (Cora von Hindte-Mieske)

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